Julia Sommerliebe Band 24
Moment näherte sich im Laufschritt der frischgebackene Vater, die Augen weit aufgerissen vor Sorge. Ohne ein Wort stürmte er die Treppe hinauf, wo er von seiner Frau und seiner neugeborenen Tochter empfangen wurde. Harry hörte lächelnd zu, wie die ganze Familie Bonnie wieder und wieder ihren Dank aussprach. Sicher verstand sie kein Wort. Er würde die Dankesworte nachher für sie übersetzen, wenn sie alleine waren.
Endlich kam Bonnie die Treppe hinunter. Sie strahlte über das ganze Gesicht, und man sah ihr an, wie sehr sie gerade in solchen Momenten ihren Beruf liebte. Er gönnte es ihr, doch trotzdem schüttelte er sich insgeheim bei dem Gedanken, dass alles auch ganz anders hätte ausgehen können.
Nicht jede Geburt verlief so unkompliziert.
Erst als sie den Ausgang des Dorfes erreichten, bemerkten sie, dass der Rest der Gruppe ohne sie weitergefahren war.
„Macht nichts. Spätestens zum Mittagessen haben wir sie eingeholt.“ Harry klang zuversichtlich, aber sein Gesicht und Körper wirkten immer noch angespannt. „Es geht ja die ganze Zeit bergab. Die Fahrt wird uns nach der Aufregung guttun, vor allem bei diesem schönen Wetter.“
„Perfekt.“ Bonnie war immer noch ganz beseelt von dem kleinen Wunder, das sie gerade erlebt hatte. Der Tag erschien ihr noch heller und kostbarer als zuvor. Einträchtig fuhren sie nebeneinander her.
„Also gab es keine Komplikationen?“, wollte Harry wissen.
„Nichts von Bedeutung. Die Schultern hatten sich ein wenig verkeilt, aber ich konnte das Kind drehen.“
In der Tat war es eine leichte Geburt gewesen. Mardi hatte tüchtig mitgeholfen, und das Baby war einfach entzückend. Bonnie wurde ganz warm ums Herz, wenn sie an die großen dunklen Augen dachte. Heute hätte sie mit niemandem auf der Welt tauschen mögen.
Harry kam sich wie ein Spielverderber vor. Aber er musste die ganze Zeit daran denken, was alles hätte schiefgehen können. Was damals vor zwei Jahren geschehen war. Er hatte seitdem mit niemandem über jenen schicksalhaften Tag gesprochen. Warum war er auf einmal versucht, Bonnie sein Herz auszuschütten?
Sie war einfach wunderbar mit der Situation umgegangen. Harry bezweifelte, dass er selbst dazu in der Lage gewesen wäre. Seine Angst war zu groß.
„Danke für deine Unterstützung, Harry.“
Ihre Stimme klang weich und aufrichtig. Schon wieder spürte er einen Riss in seiner Mauer. „Keine Ursache. Aber noch einmal möchte ich das nicht mitmachen.“
„Wer ist hier der Feigling?“, neckte sie ihn.
War er feige? Zweifellos. Er blieb stumm, und sie lächelte ihm aufmunternd zu.
„Die Strecke ist wirklich traumhaft schön. Wie gut, dass wir die Tour fortgesetzt haben, statt mit dem Bus zurückzufahren!“
„Du bist echt eine unglaubliche Frau.“ Die Worte waren draußen, bevor er es verhindern konnte.
Verlegen schüttelte sie den Kopf. „Das Lob geht wohl eher an Mardi. Ich habe nur meinen Job erledigt.“
„Bitte verschone mich mit diesen Hebammen-Sprüchen.“ In gespielter Verzweiflung rollte er die Augen.
Bonnies Blick wurde ernst. „Das werde ich. Morgen früh fliege ich zurück nach Australien.“
„Morgen schon?“ Die Nachricht traf ihn wie ein Faustschlag in den Magen. „Sagtest du nicht, du bleibst noch ein paar Tage?“
„So war es geplant, aber ich habe gestern Abend einen Anruf aus Uluru bekommen. Der Arzt, der dort eigentlich anfangen sollte, ist kurzfristig abgesprungen, darum brauchen sie dringend Unterstützung.“
Morgen also. Das ging ihm eindeutig zu schnell. Dabei war er selbst schuld an ihrer verfrühten Abreise. Was für eine Ironie des Schicksals. „Aber das ist doch nicht dein Problem“, sagte er trotzig.
Sie warf ihm einen irritierten Blick zu.
Ausgerechnet jetzt, wo er kurz davor war, sich ihr zu öffnen, musste sie abreisen. Kein Wunder, ertönte eine leise Stimme in seinem Kopf. Mit dir hält es niemand lange
aus.
„Warst du schon immer so?“, fragte sie unvermittelt.
„Wie denn?“
„So egoistisch.“ Ihre Worte trafen ihn bis ins Mark. War er egoistisch? Oder einfach nur ängstlich?
Bevor er etwas entgegnen konnte, erreichten sie das nächste Dorf, wo zwei Jugendliche mit hoch erhobenen Händen und unter lautem Rufen auf die Straße gelaufen kamen. Bonnie geriet vor Schreck ins Schleudern, und Harry konnte ihr gerade noch ausweichen.
„Kein Grund zur Panik.“ Ohne anzuhalten nahm er die Hände vom Lenker und klatschte die Jungen ab, die vor Vergnügen johlten. Harry lachte
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