Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
die zwei ewigen Dimensionen der ukrainischen Politik verkörpern. Iwan Mazeppa zog gegen den russischen Zaren Peter I. ins Feld und wurde so zur europäischen Alternative für den Entwicklungsweg des Landes. Bogdan Chmelnizki schloss ein Militärbündnis mit Russland gegen die polnischen Unterdrücker, was in der offiziellen russischen Geschichtsschreibung seitdem als »Vereinigung« der Ukraine mit ihrem nördlichen Nachbarn interpretiert wird. Kutschma ließ die Bilder beider Hetmans auf die neue Banknote, die Griwna, drucken. »Geldscheine zerreißt keiner zum Zeichen des Protests«, lautete seine ideologische Begründung. »Wenn die Leute Mazeppa und Chmelnizki zusammen in ihrer Brieftasche herumtragen, dann werden sie lernen, mit ihrer Geschichte gelassener umzugehen.«
In der Innenpolitik orientierte er sich am Wahlspruch seines Landsmannes Leonid Breschnew: Leben und leben lassen. Kutschma wusste genau, dass seine Untergebenen sich schamlos bereicherten. Er wollte lediglich, dass die Beamten dabei nicht übertrieben. Väterlich ermahnte er sie zu teilen – mit ihrem Präsidenten und mit dem Fiskus. Als Pawlo Lasarenko zu Kutschmas Stellvertreter als Ministerpräsident ernannt werden sollte, meldete sich der für seine Enthüllungen bekannte Abgeordnete Omeltschenko bei ihm. Anhand von Dokumenten wies er eindeutig nach, dass der Gouverneur des Dnipropetrowsker Gebietes auf Konten im Ausland riesige Summen angehäuft hatte. Kutschma hüllte sich lange in Schweigen. Erst als Omeltschenko es zu arg trieb, sollte der Präsident den berühmten Satz sagen: »Wenn Pawlo gelernt hat, sich die eigenen Taschen zu füllen, wird er jetzt auch wissen, wie man Geld für den Staatshaushalt auftreibt.«
Kutschma regierte das Land, wie er es verstand. Für ein Rüstungsunternehmen mit strenger Subordination und klaren Spielregeln war er ein guter Kommandeur gewesen. Hier der Generaldirektor, dort die Abteilungsleiter. Die Clanstruktur der neuen ukrainischen Wirtschaft war ebenfalls einfach und logisch, mit einem Blick zu überschauen. Jede Region wird von einem Gouverneur regiert, den der Präsident eingesetzt hat. Bei ihm laufen die Geldströme von den lokalen Unternehmen zusammen. Er lenkt sie in den Haushalt und zum Präsidenten. Ebenso funktionieren die Finanz- und Industriegruppen, die ganze Wirtschaftszweige kontrollieren. Je größer sie sind, desto einfacher ist es, mit ihnen umzugehen. Immer steht ein Mann an der Spitze, von dem man Rechenschaft fordern und dem man erklären kann, wenn er es selbst noch nicht begriffen hat, dass mit dem Staat und dem Präsidenten geteilt werden muss. Wer das nicht verstehen will, wird gnadenlos bestraft. Bis zum zivilisierten Europa, wo die Marktwirtschaft angeblich nach anderen Gesetzen funktioniert, ist es für die Ukraine noch weit. Irgendwann wird sie dorthin kommen … Aber ob wir das erleben?
Fünf Jahre nach seinem ersten Sieg bei einer Präsidentschaftswahl besteht Leonid Kutschmas Lebensziel darin, sich auf seinem Posten zu halten. Die Wiederwahl im Jahre 1999 zu gewinnen. Auf den ersten Blick stehen seine Chancen dafür schlecht. Nicht gerade mit persönlichem Charme gesegnet, hat er in diesen Jahren einen Teil seiner Anhänger in der politischen Elite verloren, sich Feinde gemacht und auch im Volk an Kredit eingebüßt. In Moskau ist er nicht mehr beliebt, in den Hauptstädten Europas und in Amerika misstraut man ihm. Rivalen wie Lasarenko haben stark aufgeholt. Dazu kommt die instabile Lage im Lande. Alles auf den Amtsinhaber schieben wie beim letzten Mal kann er nicht. Der heißt jetzt Leonid Kutschma.
Was also tun?
Zum Glück hat er eine Antwort auf diese Frage parat. Der erfahrene Préférence-Spieler weiß bereits Jahre vor der Wahl, welche Karten er abwerfen und welche er hinzukaufen muss.
Erstens will er sich mit der Absetzung von Lasarenko, der gefährlich nahe an den Präsidentenstuhl herangerückt ist, aus der Umklammerung der Dnipropetrowsker befreien. Damit ist auch Schluss mit dem abträglichen Gerede, der Präsident sei nichts anderes als der Chef der Direktorenmafia. Er musste zum Paten der Nation werden, nicht eines einzelnen Clans. Damit sich der in Ungnade gefallene Lasarenko alle Hoffnungen auf die Präsidentschaft aus dem Kopf schlägt, gilt es zweitens, ihm sein Geld wegzunehmen. Das heißt vor allem, JeESU, dessen wichtigste Stütze, auszuschalten. Damit kann er ganz nebenbei auch die dritte Aufgabe lösen, die zugleich die wichtigste ist. Für
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