Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
Blutvergießen, grenzenloser Brutalität und Gefängnisromantik einmal abgesehen, nicht so sehr von den Gesetzen ihres Hofs unterscheiden. Sie hat überlebt und Erfolg gehabt, weil sie es versteht, nach diesen Regeln zu spielen. Das sind zwar ganz besondere Regeln, aber andere gibt es nicht. Sie hält sie ein und wird dafür respektiert, dass sie sie nicht verletzt. Als Julia Timoschenko in den Kreis der Paten der ukrainischen Wirtschaft eintrat, musste sie feststellen, dass auch hier ganz ähnliche Regeln gelten.
Sie hat also keine Wahl.
Sie nimmt den Fehdehandschuh des Präsidenten auf. Sie kämpft um ihr Geld, ihre Firmen, ihr Gas, ihr Vermögen und schließlich ihre Familie. Man denke nur, was die Ausbildung der Tochter in London kostet … Stets wird sie dabei von der Überzeugung getrieben, dass man ihr Unrecht tut. Sie ist nicht die Märtyrerin Warwara. Sie ist eine Kämpferin.
Pawlo Lasarenko gibt ihr den Auftrag, sich wieder in die Rada wählen zu lassen, in die Opposition zu gehen und dort an politischem Gewicht zuzulegen. Das ist jetzt wichtiger als alles Geld. Die politische Unabhängigkeit kann für sie die Rettung nicht nur vor Kutschma, sondern auch vor dem zum Untergang verurteilten Lasarenko bedeuten.
Julia Timoschenko weiß, dass sie zunächst die Weggefährtin des ehemaligen Ministerpräsidenten und Paten bleiben muss. Wie lange noch? Das wird die Zeit zeigen.
Zehntes Kapitel
Wer mich mag: Mir nach!
Im Mai 1997 tritt Julia Timoschenko in die Bewegung »Gromada« (Gemeinde) ein.
Diese Leute kennt sie seit Langem, besonders Oleksandr Turtschinow. Er ist ein Landsmann, kommt wie viele der Wegbegleiter ihrer Jugend in der Perestroika aus dem Nachwuchs des Dnipropetrowsker Komsomol.
Die Idee der »Gromada« hat Turtschinow von den ukrainischen Aufklärern Mitte des 19. Jahrhunderts – Dichtern, Schriftstellern und Historikern – übernommen. Aber die Zeiten wiederholen sich nicht, daher wurde die 1993 gegründete Bewegung von Eliten und Wählern kaum wahrgenommen. Politologen hoben nur ratlos die Hände, als sie die programmatischen Dokumente der neuen Organisation lasen. Darin ist die »Gromada« als eine Art Einflusspartei dargestellt, deren wichtigster Grundsatz die Ablehnung jeglicher Werbung und deren Motto die Losung ist: »Schaffe dir keinen Götzen.« Bevor Julia Timoschenko dort auftauchte, hatte die Partei nur wenige Hundert Mitglieder und ähnelte eher einem elitären Klub oder einer Freimaurerloge.
Julia Timoschenko macht eine Kampfpartei daraus. Turtschinow soll für lange Jahre Julia Timoschenkos einziger politischer Partner bleiben, dem sie auch in den riskantesten Situationen bedenkenlos vertraut.
Während Leonid Kutschma die Fähigkeit zur Führung eines Industriegiganten in die Regierung einbringt, erinnert der Parteiaufbau unter Führung von Julia Timoschenko eher an ein gut finanziertes Firmenprojekt. Für die Reorganisation von »Gromada« mobilisiert sie alle Reserven ihres untergehenden Gasunternehmens. JeESU-Manager bauen die neuen Strukturen, die zentralen Organe und regionalen Organisationen der Partei auf. Vorsitzender des Koordinierungsrates wird zunächst ihr Schwiegervater, der JeESU-Generaldirektor Gennadi Timoschenko. Er spricht ganz offen von Stimmenkauf, denn Geschäft ist Geschäft. »Das Geld für die Verstärkung des Einflusses von ›Gromada‹ auf alle Bereiche der Staatsmacht wird bereitgestellt.« Mehr noch: »Wir haben eine ungefähre Vorstellung davon, was eine Präsidentenwahl kostet. Und wir kennen die Spendenquellen.«
Die Reaktion der Präsidialadministration lässt nicht auf sich warten. Ihr Chef Jewhen Kuschnarjow erklärt, nachdem JeESU die Protektion der Regierung verloren habe, suche das Firmenimperium nun nach einer politischen Absicherung. Damit hat er wohl recht. Ihn stimmt besorgt, mit welcher Leidenschaft Julia Timoschenko zu Werke geht. Die Gasprinzessin äußert sich immer schärfer und lautstärker.
Den Angriff auf den Präsidenten startet Julia Timoschenko in einem Interview für die russische Nesawissimaja gaseta (Unabhängige Zeitung). Sie erklärt, die offizielle Kiewer Gaspolitik »grenzt an ein Verbrechen« und »die Mannschaft des Präsidenten destabilisiert bewusst den Gasmarkt«. Nach ihren Worten läuft die Privatisierung in der Ukraine »im Interesse einzelner Gruppen, die der heutigen Präsidialadministration nahestehen«. Kuschnarjow begreift durchaus, warum die in die Enge getriebene Gasprinzessin solche
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