Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
wird. Irgendwo dort liegt der Anfang des Weges, der ihn zum Kiewer Maidan führen soll – beim Dorf Maidanezi in der Nähe von Uman, wo man in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Spuren einer antiken Stadt entdeckt hat, die über 200 Hektar groß war. Außerdem züchtet er Bienen, Hühner, Puten und Schafe, töpfert, schmiedet und singt gern ukrainische Lieder.
Ehrfurcht vor der Vergangenheit ist ein Grundelement in seinem Leben. Von Kindesbeinen fasziniert den Jungen aus einer Lehrerfamilie, der 1954 im Dorf Choruschewka, Gebiet Sumy geboren wird, die Geschichte seiner engeren Heimat. Vielleicht ist er ein Nationalist, was in der Sowjetukraine gar nicht gern gesehen wird, aber einer von der harmlosen Sorte. Eher ein etwas verschrobener Heimatforscher, kein Rebell.
Die Leidenschaft für alte Scherben schadet seiner Karriere nicht.
Die ist bescheiden, passt zu seinem Charakter und seinen Vorlieben. Nach dem Schulabschluss zieht es ihn nicht in die großen Städte. Er nimmt an einem ganz gewöhnlichen Institut für Finanzwirtschaft in der Provinzstadt Ternopil ein Studium auf.
Sumy liegt im Osten der Ukraine, Ternopil im Westen. Die Geografie des Landes hat mit Ideologie zu tun. Viele Jahre später wird Juschtschenko sagen, während seiner Studienzeit im westukrainischen Ternopil sei ihm erst bewusst geworden, was es heißt, Ukrainer zu sein.
Anzeichen für derart patriotische Gefühle sind in seiner Biografie der Sowjetzeit nicht zu entdecken. Als er das entsprechende Alter hat, tritt Juschtschenko in den Komsomol und später in die Partei ein. Er hört auf den Rat der Genossen Vorgesetzten. Die empfehlen ihm, tiefer in die Wissenschaft von der Partei einzudringen. Gehorsam besucht er daraufhin die Universität des Marxismus-Leninismus, wo er ein Fach mit dem Namen »Meisterschaft in der Propaganda« studiert. Zum Propagandisten aber taugt er kaum – feurige Reden sind seine Sache nicht. Auch Jahrzehnte später in der Opposition, im Wahlkampf von 2002, ja selbst in den Tagen der Orangenen Revolution von 2004 hat er es noch nicht gelernt, mit großen Menschenmassen zu kommunizieren. Juschtschenko ist nur ein mittelmäßiger Redner, verliert sich in Kleinigkeiten, spricht lange, leise und undeutlich, wiederholt sich, verliert den Faden und hat kein Gefühl für die Stimmung seiner Zuhörer.
Er ist bereits 33 Jahre alt, als sich in seinem Schicksal wie dem des Landes eine jähe Wendung abzeichnet. Man schreibt das Jahr 1986. Der junge Generalsekretär im Kreml verkündet den Beginn revolutionärer Veränderungen in der UdSSR. Auch im Leben des stillen Buchhalters von Sumy reift eine Karriererevolution heran. Juschtschenko geht nach Kiew, wo er stellvertretender Abteilungsleiter in der Staatsbank der Ukraine wird.
Kollegen von damals erinnern sich, dass er den Eindruck eines Mannes machte, dem jeder Ehrgeiz fehlte. Er war sehr tüchtig, fügsam gegenüber den Vorgesetzten und streng mit Untergebenen. Unterwürfigkeit nach oben oder besondere Härte nach unten sind allerdings nicht verbürgt. Unauffällig, korrekt und provinziell – ein guter Fachmann in zweitrangiger Position.
Die Laufbahn jedes Politikers beginnt mit einem Gönner, einem »Paten«, der den ersten und wichtigsten Anstoß auf dem Weg nach oben gibt. Viktor Juschtschenko suchte nicht nach einem solchen Mann und träumte nicht von einer steilen Karriere. Der etwas träge Buchhalter musste förmlich nach oben getragen werden. Der Mann, der diese schwierige Mission auf sich nahm, hieß Wadim Hetman. Wie Juschtschenko war auch er Bankfachmann. Im Unterschied zu Juschtschenko hatte es Hetman bereits während der Perestroika zum Bankier, Politiker und Geschäftsmann der höchsten Kategorie gebracht.
Leben und Tod des Wadim Hetman sind fester Bestandteil der jüngsten Geschichte der Ukraine.
Er, der als einer der Ersten erkennt, welche Aussichten die neue Epoche Geschäftsleuten verspricht, versammelt in seiner Agroprombank (Agrar-Industriebank) eine starke und ihm treu ergebene Mannschaft junger Finanzfachleute. Unter ihnen ist Juschtschenko, den Hetman 1987 in Kiew kennengelernt hat. Kurze Zeit später gliedert er die Agroprombank aus dem sowjetischen Bankensystem aus und baut auf ihrer Grundlage das mächtigste Finanzimperium der unabhängigen Ukraine auf.
Wadim Hetman, ein überzeugter Liberaler, erläuterte seinen Kollegen, wie das Bankwesen in einem normalen, zivilisierten Staat zu funktionieren hat. Davon war die Ukraine
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