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Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie

Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie

Titel: Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilia Milstein , Dmitri Popov
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will, trank er Wodka und dachte nach. Zwei Fragen quälten ihn ohne Unterlass. Erstens: Was tun? Und zweitens: Wer waren die Schuldigen? Wenn er auf die zweite Frage eine Antwort fand, wenn er wusste, wer hinter dem so heftig nach der Wahrheit strebenden Major steckte, dann konnte er auch über die Strategie des weiteren Vorgehens entscheiden. Aber die erste Frage hatte eindeutig Vorrang: Was tun, um jetzt die Macht nicht zu verlieren?
    Sicher dachte Kutschma auch über radikale Lösungen nach. Das Parlament auflösen? Ein Präsidialregime einführen? Zur Abschreckung ein paar Zeitungen schließen? Moros einsperren? Das war alles sehr verlockend, aber dem Präsidenten schwante, dass die Ukraine nicht Turkmenien war. Nachdem er eine Woche lang gegrübelt hatte, war Kutschma klar, dass er das Spiel weiter auf dem Feld halten musste, wo er der Stärkste war und bisher immer gesiegt hatte.
    Keine überhasteten Schritte. Alles bestreiten, sich herauswinden, Verbündete gewinnen, Feinde bestechen oder vernichten, Zeit gewinnen, die Schuld auf andere abwälzen, manövrieren und Spuren verwischen … Das verstand er besser als alle seine Gegner zusammen. Aber noch in keiner Partie, die Kutschma hatte spielen müssen, war der Einsatz so hoch gewesen.
    Am 6. Dezember trat der Präsident schließlich vor die Fernsehkameras. In seiner Rede an die Mitbürger umging Leonid Kutschma geschickt die Frage, ob die Aufnahmen echt seien. Seine Sorge galt dem Vaterland, dessen Ehre befleckt war. Den Skandal mit den Tonbandkassetten nannte er eine »exakt geplante politische Provokation«, um »die Ukraine vor der Welt als eine … verwahrloste, finstere Gesellschaft hinzustellen«. Der wichtigste Satz lautete, im Lande werde es weder eine Diktatur noch vorgezogene Neuwahlen geben.
    Das heißt: Alles sollte bleiben, wie es war.
    Zur Umsetzung seines Entschlusses bot Kutschma seiner Umgebung einen Kuhhandel an. Opfer einer der vielen Absprachen, die er traf, sollte Julia Timoschenko werden. Die Oligarchen, die sich von der Regierung Juschtschenko in die Enge getrieben fühlten, nannten ihren Preis: Der Ministerpräsident musste zurücktreten, und Lady Ju hinter Gitter. Ein lächerlicher Preis. Der Präsident akzeptierte ihn ohne Umschweife …
    Aber als erfahrener Spieler ging Kutschma sofort aufs Ganze.
    Oleksandr Turtschinow berichtet, am Vorabend der Abstimmung in der Obersten Rada darüber, ob das Parlament zum Fall Gongadse eine Sondersitzung abhalten sollte, sei er mit dem Präsidenten zusammengetroffen. Kutschma wirkte blass, aber entschlossen. Er habe in abgehackten Sätzen gesprochen. Melnytschenkos Aufnahmen seien eine Provokation. Die Sache müsse ein Ende haben. Wenn die Batkiwtschina-Fraktion der Abstimmung fern bleibe, komme die Sondersitzung nicht durch. »Sag Julia, dass ich alle ihre Probleme begrabe, wenn Batkiwtschina stimmt wie nötig.«
    Turtschinow wusste, wie Julia reagieren werde. Um den Schlag von ihr abzulenken, tat er, als liege ihm am Ruf des Präsidenten. »Leonid Danilowitsch«, sagte er mit Wärme zu Kutschma, »es wäre doch besser, Sie selbst könnten die Bildung einer Kommission initiieren. Die beweist dann, dass Sie keine Schuld haben. Das wäre eine starke Geste Ihrerseits.«
    Kutschma durchschaute ihn sofort. »Lass die Klugscheißerei!«, fuhr er ihn an. »Überbringe Julia, was ich gesagt habe.«
    Wieder musste sich Julia Timoschenko entscheiden.
    Mit einem Hieb konnte sie die Schlinge, die ihr bereits um den Hals lag, durchschlagen. Sie konnte auf ihrem Posten bleiben. ­Oleksandr würde freigelassen. Und wenn sie Glück hatte, lud Kutschma sie sogar zum Tee ein. Diese Chance fiel ihr in einer fast aussichtslosen Lage in den Schoß. Zum ersten Mal hing der Präsident der Ukraine von ihrer Entscheidung ab. Sie konnte ihm helfen und dadurch Zeit gewinnen. Eine Atempause von mindestens zwei bis drei Monaten war ihr sicher.
    Sollte sie einwilligen? Ihr ganzes Wesen sträubte sich dagegen. Die Kränkungen, die man ihr zugefügt hatte, schrien nach Rache. Außerdem konnte sie ihre bisherige Arbeit ohnehin nicht fortsetzen. Die Abstimmung in der Rada würde nur eine Episode in dem Tonbandskandal sein, der weiterging, ganz gleich, wie sich die Abgeordneten entschieden. Sie wusste auch bereits, welche Bedingung die Oligarchen dem Präsidenten für ihre Unterstützung gestellt hatten. Natürlich konnte Kutschma einen Kompromiss finden. Sie nicht absetzen und nicht ins Gefängnis werfen, aber ihr alle reale

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