Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
kommen könnte. Indessen erklärte Janukowitsch in seinem schleppenden Redefluss und mit seinen typischen Gesten einer sorgfältig ausgewählten Wählerschar, warum er siegen werde: »Weil es viel mehr gesund denkende Menschen gibt als diese Hornochsen, die uns nur im Wege sind.«
In Juschtschenkos Blick brannten Schmerz und Leidenschaft. Das nahmen ihm die Menschen ab. Der Versuch, auch Janukowitsch leidend wirken zu lassen, ging gründlich schief. In Iwano-Frankiwsk traf ihn ein Ei aus dem Publikum. Janukowitsch ging zu Boden; der Vorfall wurde als ein Mordanschlag hingestellt. Eine Woche später erschien im Internet ein neues Spiel mit dem höhnischen Namen »Das freche Ei«. Es legte sofort in allen ukrainischen Büros die Arbeit lahm. Zielscheibe war Janukowitsch, und zum Sieger wurde der erkoren, der mit dem Ei die Stirn des Ministerpräsidenten traf.
Julia Timoschenko ließ sich in diesen Tagen kaum sehen. Da sie selbst alles auf die Karte Juschtschenko setzte, hatte sie den klugen Entschluss gefasst, ihn nicht daran zu hindern, mit dem Volk zu sprechen und sich an die Musik der brüllenden Straßen und Plätze zu gewöhnen. Sie zog sich in der Einsicht hinter die Kulissen zurück, dass bei Weitem nicht alle Wähler Juschtschenkos sie neben ihrem Idol sehen wollten. Natürlich reiste sie weiterhin durchs Land, aber zum ersten Mal in ihrem politischen Leben warb sie nicht für sich selbst. Und sie sprach auch nicht so viel von sich wie von ihm, ihrem Auserwählten. Außerdem sagte ihr ihr politischer Instinkt, dass der Wahlkampf in den Provinzregionen diesmal keine so große Rolle spielte. Das Schicksal der Ukraine entschied sich in der Hauptstadt. Wie immer, wenn das Volk sich erhob.
Im Herbst 2004 setzte Julia Timoschenko in aller Stille ihr Geld für die künftige Revolution ein, verwandte ihr politisches Ausnahmetalent und ihren scharfen Verstand für endlose Verhandlungen mit den verschiedensten und verblüffendsten Partnern. Es gab Gerüchte, dass sie sogar mit Boris Beresowski Kontakt hatte, der einst glaubte, Kutschma sei von Gott gesandt, inzwischen aber Überzeugung und Wohnort gewechselt hatte. Der berühmte Präsidentenmacher, der Putin im Jahre 2000 zur Macht verholfen hatte, war inzwischen aus Russland ausgewiesen, lebte im Londoner Exil und sann auf Rache. Julia Timoschenko wusste aber genau, dass über das Schicksal einer Revolution neben Geld und cleveren Technologien am Ende das Volk entschied. Vor allem das Volk. Das aber bedeutete, dass in riesigem Umfang Zelte, Lebensmittel und orangefarbener Stoff beschafft werden mussten. Die ehemalige Oligarchin Julia Timoschenko bereitet sich auf die glücklichste Zeit ihres Lebens vor: auf ihren Maidan.
In der Nacht nach der Wahl brach der Krieg der Zahlen aus. Ukrainische Soziologen warteten das vorläufige offizielle Ergebnis gar nicht erst ab, sondern gingen sofort mit ihren Zahlen an die Öffentlichkeit: »Für Juschtschenko – 45,23 Prozent, für Janukowitsch – 36,79 Prozent.« So lautete das Ergebnis der Nachfrage vor den Wahllokalen, das nach langjähriger praktischer Erfahrung ein reales Bild widerspiegelt. Jetzt galt es die Antwort aus dem »Russischen Haus« abzuwarten, denn Soziologen aus Moskau waren inzwischen zum festen Bestandteil des Spiels des Kreml in der Ukraine geworden. Die aber hatten ihren ersten Störfall: Nachdem sie bereits vor Tagen den Sieg für Janukowitsch prognostiziert hatten, weigerten sie sich jetzt plötzlich, ihre Zahlen zu nennen. Die Gründe waren verständlich. Die Wähler hätten sie zum Teufel geschickt. Denn die ersten offiziellen Daten der Zentralen Wahlkommission versprachen, wie man erwartet hatte, Janukowitsch den Sieg bereits im ersten Wahlgang.
Dann näherten sich die Kurven der offiziellen Hochrechnungen immer mehr an. Juschtschenko lag leicht unter den ersehnten 50 Prozent, der Kandidat der Staatsmacht um ein Winziges darüber. Im Stab des Oppositionskandidaten gab Julia Timoschenko ihr erstes Interview nach der Wahl. Sie erschien im orangefarbenen Pullover und mit strahlendem Blick. Den Sieg vor Augen, hielt sie sich noch bedeckt: »Das Ergebnis wird für uns eine angenehme Überraschung sein!«
Sie hatte ihre Rolle gefunden: Strahlen und Siegesgewissheit verbreiten.
Petro Poroschenko, der künftige Chef des Sicherheitsrates der Ukraine und spätere Todfeind Julia Timoschenkos, hatte ähnliche Probleme zu lösen. Auch er hielt sich eher von den Kameras fern und trug eine besorgte, ja
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