Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
überschritten und Kutschma, der die wichtigsten Posten neu zu besetzen hatte, wählte Janukowitsch. Als Vertreter eines großen Wirtschaftsimperiums schien er ein Mann zu sein, von dem keine übermäßigen Illusionen zu erwarten waren.«
In einer Ukraine unter Janukowitsch hätte Kutschma wohl kaum Macht in die Hand bekommen. Ein ruhiges Alter wäre ihm aber sicher gewesen, was auch ein Grund dafür sein kann, dass sich der scheidende Präsident letzten Endes für seinen Ministerpräsidenten entschied. Warum das der Kreml tat, ist noch leichter zu erklären. Die in Donezk angeblich verloren gegangene Akte mit Janukowitschs Vorstrafen lag in einem Moskauer Archiv. Damit hoffte man den neuen Präsidenten genau so steuern zu können wie seinerzeit Kutschma mit Melnytschenkos Tonbändern. So wäre das brüderliche Verhältnis Russlands zur Ukraine mindestens auf weitere fünf Jahre gesichert gewesen.
Als grünes Licht aus Moskau kam, entschied sich Kutschma ohne Begeisterung, aber doch endgültig dafür, Janukowitsch zu unterstützen. Mit Kutschmas Zustimmung gingen Putin und seine Polittechnologen daran, die »Operation Janukowitsch« einzuleiten. Diese verfolgte ein doppeltes Ziel: In der Ukraine sollte ein dem Kreml genehmer Kandidat zur Macht gebracht und zugleich die Opposition politisch vernichtet werden. Das eine ergab sich aus dem anderen. Wenn man Timoschenko und Juschtschenko nicht zu diskreditieren vermochte, dann konnte man auch die Hoffnung auf einen Sieg Janukowitschs begraben.
Ukrainische Journalisten sollten später ihren russischen Freunden schadenfroh berichten, wie die Polittechnologen des Kreml lange vor der Präsidentschaftswahl in Kiew einflogen. Die Werbefachleute führten eine Vor-Ort-Erkundung durch, ermittelten die Umfragewerte der Bewerber und teilten den Vorgesetzten in Moskau ihre Überlegungen mit, was zu tun sei, um dem richtigen Kandidaten zum Sieg zu verhelfen.
Vor dem ersten Wahlgang hatten sich die fleißigen Kreml-Werber ganz offen im sogenannten Russischen Haus am Kreschtschatik im Zentrum von Kiew niedergelassen. Dort hielten sie ihre endlosen Pressekonferenzen ab, die nicht selten zu Reden an das ukrainische Volk über Rundfunk und Fernsehen ausarteten. Um ihrem schwierigen Auftrag gerecht zu werden, mühten sich die Moskauer Beamten auf Ehre und Gewissen, wenn dieses Wort hier überhaupt angemessen ist.
Als Strategie für die bevorstehenden Wahlen visierte man die Spaltung des Landes in einen prorussischen Osten an, wo vor allem Janukowitsch unterstützt wurde, und einen proeuropäischen Westen, der sich Juschtschenko als Präsidenten wünschte. Der Osten schien den Russen stärker zu sein. Er war wesentlich reicher und auch dichter bevölkert.
Die russischen Gäste waren in ihren Worten nicht wählerisch, wenn es darum ging, die Opposition zu diskreditieren. Juschtschenko war für sie ein »Faschist«, ein »Bandera-Anhänger«, dazu ein »Mann der CIA« (wegen seiner amerikanischen Frau), was gut in die sowjetischen Klischees aus der Zeit des Kalten Krieges passte. Gegen Julia Timoschenko polemisierte der Kreml so, wie er es gegen die eigenen Oligarchen tat. Im September 2004 erinnerten sich die Ermittler der obersten Militärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation an die alten Vorwürfe gegen Lady Ju und forderten sie auf, zum Verhör nach Moskau zu kommen. Sie reagierte scharf. Sie nannte das Vorgehen der Staatsanwälte eine »Provokation« und schrieb dem russischen Generalstaatsanwalt einen Brief, in dem sie ihn ersuchte, den »Befreiungskampf des ukrainischen Volkes« nicht zu stören. Damit hatte man gerechnet. Eine Woche später erließ das Militärgericht der Garnison Moskau Haftbefehl gegen sie. Weitere vier Tage später war Julia Timoschenko zur internationalen Fahndung ausgeschrieben. Anfang Dezember, als die Orangene Revolution ihrem Höhepunkt zustrebte, erschien in der Rubrik »Gesucht« der offiziellen Website von Interpol der Haftbefehl gegen sie.
Außer Polittechnologen und Staatsanwälten wurde noch schwereres Geschütz aufgefahren. In den Kampf um die Stimmen der ukrainischen Wähler griff nun der Oberkommandierende der russischen Armee, Präsident Wladimir Putin, persönlich ein. Während des ganzen Jahres 2004 hatte er die Ukraine mehrfach aufgesucht, sich mit Kutschma über verschiedene aktuelle Probleme beraten und heftig über die nähere Zukunft des Landes debattiert. Ab Oktober handelte er immer zielbewusster. Am 9. Oktober empfing er in
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