Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
seiner Residenz Nowo-Ogarjowo bei Moskau gute Freunde: Leonid Kutschma, der ihm Viktor Janukowitsch als seinen offiziellen Nachfolger vorstellte. Das Treffen war von vielsagender Symbolik.
Dabei war alles wichtig: Unmengen von Fernsehkameras. Eine ungezwungene Atmosphäre. Es hieß, die Freunde feierten Putins Geburtstag, obwohl der bereits am 1. Oktober gewesen war. Bruderküsse, die der Gastgeber zuerst mit Kutschma und dann auch mit Janukowitsch tauschte. Die Sitzordnung, nach der Janukowitsch neben Putin Platz nahm. Die Rede des Hausherrn, der mit fester Stimme erklärte, vom Ausgang dieser Wahl hänge das wirtschaftliche Wohlergehen der Ukraine ab. Kutschmas Rede über den hohen Stellenwert der beiderseitigen Beziehungen. Janukowitschs andächtiges Schweigen. Der gemeinsame Spaziergang der slawischen Brüder zum Fluss.
Drei Wochen später wurde es noch symbolischer. Auch der Anlass für das Treffen war noch gewichtiger. Diesmal versammelten sich die Freunde in Kiew, um einträchtig den 60. Jahrestag der Befreiung der Stadt von den faschistischen deutschen Okkupanten zu feiern. Wieder stimmte das Datum nicht ganz, denn Kiew wurde am 6. November befreit. Aber dieser Tag eignete sich so gar nicht für eine Parade, denn die Präsidentschaftswahl hatte man bereits für den 31. Oktober anberaumt. Der Sinn des Schauspiels war allzu durchsichtig. Die siegreichen Antifaschisten Putin, Kutschma und Janukowitsch nahmen einträchtig die Parade ab, während die Rolle der Verlierer eindeutig den auf der Ehrentribüne abwesenden »Bandera-Leuten« und anderen »Oligarchen« zugewiesen wurde … Die Einheit der Antifaschisten krönte eine Szene, die das Publikum zu Tränen rühren sollte. Von dem Vorbeimarsch gelangweilt, holte Janukowitsch ein Sahnebonbon aus der Tasche und hielt es seinem russischen Freund hin. Der zögerte und gab es dann an den Chef seiner Administration, Medwedjew, weiter, der es sich schmecken ließ.
Die Parade war aber nicht das Einzige. Präsident Putin hielt es für nötig, über die drei nationalen Fernsehkanäle persönlich zum ukrainischen Volk zu sprechen. In Russland hatte man sich, wie ein Fernsehchef es ausdrückte, inzwischen daran gewöhnt, dass allein Putins Erscheinen auf dem Bildschirm für die Zuschauer immer eine gute Nachricht war. Man ging davon aus, dass dieses die Ukrainer genauso erfreuen musste. Die Wirkung war aber ein wenig anders. Im Osten des Landes, wo die Mehrheit ohnehin Janukowitsch wählen wollte, brauchte man niemanden zu agitieren. Dagegen stieß eine derart grobe Einmischung des »Moskowiters« in die inneren Angelegenheiten der Ukraine im Westteil auf heftige Ablehnung. Ein ukrainischer Politologe meinte gar, das »massive Auftreten des russischen Präsidenten im ukrainischen Fernsehen sei nur mit einem militärischen Einmarsch, zum Beispiel dem der sowjetischen Truppen in der Tschechoslowakei, vergleichbar gewesen.«
Das war natürlich übertrieben. Die meisten Ukrainer hätten dem nicht zugestimmt. Erstens rief Putin die Zuschauer ja nicht direkt dazu auf, Janukowitsch zu wählen. Zweitens war der russische Präsident in seinen Äußerungen so vorsichtig, dass er während der ganzen langen Pressekonferenz faktisch nichts von Bedeutung sagte. Offenbar hatten seine Berater auch ihn davon überzeugt, dass allein sein Erscheinen die Ukrainer entzücken musste.
Am 11. November reiste Putin noch einmal an. Der erste Wahlgang hatte bereits stattgefunden, die Ukraine war ein vom Sturm aufgewühltes Meer und der russische Präsident eilte herbei, um dem unsicher gewordenen Janukowitsch den Rücken zu stärken …
Eine Woche vor den Wahlen kamen Zehntausende Anhänger Juschtschenkos auf den Kreschtschatik, um vorsorglich gegen mögliche Wahlfälschungen zu protestieren. Nachdem sie mehrere Stunden gewartet hatten, zogen sie zum Gebäude der Zentralen Wahlkommission, wo seit dem Morgen bereits alles für den Auftritt der Opposition bereit war: eine Bühne und zwei riesige Monitore. Plötzlich erschien Juschtschenko und die Demonstranten begannen, laut seinen Namen zu rufen.
Viktor Juschtschenko war kaum wiederzuerkennen. Vor allem sein Gesicht, an das man sich seit einem Monat nicht gewöhnen konnte. Der ganze Mann war wie ausgewechselt: hart, konzentriert und unerbittlich. »Die Zeit der kriminellen Staatsmacht geht zu Ende!«, rief er ins Mikrofon. »Für alle reicht ihr Gift nicht! Die Schuldigen werden auf der Anklagebank sitzen. Kommen Sie alle zur Wahl und geben
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