JULIA VALENTINSBAND Band 19
Himmel, damals war er achtzehn Jahre alt gewesen – und vollkommen orientierungslos. Es lag auf der Hand, dass er die Stadt verlassen musste, um zu sich selbst zu finden und etwas aus seinem Leben zu machen. Aber es reichte nicht aus, einfach nur die Stadt zu verlassen. Er durchquerte das ganze Land, um sich ganz am anderen Ende niederzulassen.
Ian wollte möglichst weit weg von seinem unglücklichen Zuhause.
Aber seither hatte er viel gelernt. Er wusste nun, dass die Quelle des Glücks im Innern des Menschen liegt. Und nicht in einem Job oder in der Stadt, in der man zufällig lebt.
In New York war Ian einigermaßen zufrieden gewesen. Nachdem er das Studium abgeschlossen hatte, hatte ihn das FBI als Experte für Kunst- und Antiquitätendiebstahl engagiert. Aber erst die Rückkehr nach Los Angeles hatte ihm gezeigt, was es bedeutet, wirklich glücklich zu sein.
Er konnte sie riechen, sog ihren verführerischen Duft in sich ein. Am liebsten hätte er sein Gesicht in ihrem Haar vergraben. Denn es war, als sei er endlich nach Hause gekommen. Nach Hause zu Chloe. Auch nach ihr war er mit Frauen zusammen gewesen. Aber mit keiner dieser Frauen hatte er sich so verbunden gefühlt wie mit Chloe. Nichts und niemand reichte bisher an sie heran.
Auch heute Abend, als Ian sie im Innenhof auf der anderen Seite des Rasens entdeckt hatte, war es wie eine magische Anziehungskraft, die sie beide verband. Wie ein Sog, gegen den er nichts ausrichten konnte. Und jetzt, als er sie mit seinem Körper gegen die Wand presste, schien die Nähe zu ihr genauso wichtig wie die Luft zum Atmen.
Genau das war das Problem. Ein großes Problem.
„Sag was!“, forderte Chloe und wehrte sich immer noch wie verrückt. „Verdammt noch mal, sag was! Irgendwas!“
Ian wollte sie bändigen, bevor sie ihn zum Eunuchen machte. Aber irgendetwas in ihrer Stimme ließ ihn abrupt innehalten. Er machte ihr Angst. Sollte er seine Deckung aufgeben, sich die Maske abreißen? Aber dann lief er Gefahr, dass sie sich noch viel mehr erschreckte. Er beugte sich über ihre Schulter nach vorn, lehnte sich mit der Stirn gegen die Wand und schloss die Augen. Die Gedanken wirbelten ihm wie verrückt durch den Kopf. „Ich sag dir, was los ist. Aber du musst endlich stillhalten. Okay?“
Chloe schnaufte, als hätte sie gerade einen Marathon hinter sich gebracht. Ihr warmer Atem strich über seine Wangen.
„Okay?“, wiederholte er und ließ die Handflächen sanft auf ihr ruhen.
Sie keuchte immer noch. Aber er merkte, wie sie nickte. Seit gestern hatte er sich nicht rasiert. Eine Haarlocke verfing sich auf den Bartstoppeln seiner Wangen, eine zweite stach ihm ins Auge.
Es war eine Tortur.
Ian wartete ab, um sicherzugehen, dass sie tatsächlich ruhig bleiben würde. Schließlich hatte sie ihm schon äußerst schmerzhaft in den Unterleib getreten, und weil er auf seine Gesundheit in der Region größten Wert legte, wollte er sichergehen, dass sie ihren Angriff nicht wiederholte.
Chloe rührte sich nicht.
Eigentlich war Ian überzeugt gewesen, dass er sich nichts sehnlicher gewünscht hatte, als dass sie endlich stillhielt, damit auch er zur Ruhe kommen könnte. Aber jetzt war er nicht mehr sicher. Denn als sich jetzt gar nichts mehr rührte, hatte er sie plötzlich wesentlich besser im Griff und spürte sie nur noch deutlicher.
Mit den Armen hielt er ihren Körper fest umklammert die Dunkelheit hüllte sie ein, und alles wirkte wie verzaubert.
Und viel intensiver.
Die Erinnerung an sie füllte Ian vollkommen aus. Manchmal, spät in der Nacht, träumte er von ihr: Chloe war klug, süß und verführerisch wie die Sünde. Sein Herz war gesprungen vor Freude, als er sie wiedergesehen hatte. Seine erste Liebe, die Frau, die ihm einst das Herz gestohlen hatte. Er wäre überglücklich gewesen, hätte es nicht zwei Gründe gegeben, die dagegen sprachen.
Erstens war er zutiefst in seine Ermittlungen in einem Fall von Antiquitätendiebstahl verstrickt. Und zweitens schuldete Chloe ihm eine ernsthafte Erklärung – denn sie war die Steuerberaterin seiner Hauptverdächtigen. „Wenn ich nur wüsste, wo die Taschenlampe steckt“, sagte Ian.
„In deiner Hose.“
„Nein, nicht in meiner Hose …“
Chloe hatte sich nicht mehr gerührt. Und auch jetzt verharrte sie stocksteif, als sie begriff, Ian verzog das Gesicht.
„Die Lampe liegt auf dem Boden. Beug dich mit mir runter, damit wir sie aufheben können.“ Ohne darauf zu warten, dass sie ihn aus Protest mit
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