Julia-Weihnachten Band 24
die sie und Tom in ihren zwei gemeinsamen Jahren in der schwedischen Hauptstadt unternommen hatten. Marnie konnte sich zum Beispiel noch gut an ein wunderschönes romantisches Wochenende ganz allein auf einer kleinen Insel erinnern. Schreckliche Vorstellung, dass er mit Elise vielleicht etwas Ähnliches gemacht hatte.
Tom lehnte sich gegen den Kühlschrank. „Ein paar Wochen nachdem ich sie kennengelernt habe, bin ich nach Rom versetzt worden“, fuhr er fort und sah plötzlich wieder verschlossen aus.
„Hast du sie nicht gebeten, mitzukommen?“, fragte Marnie impulsiv und hielt erschrocken die Luft an. Wollte sie wirklich hören, was jetzt kam?
„Nein.“
„Warum nicht?“
Tom hüstelte. „Hätte ich das deiner Meinung nach tun sollen?“
„Klar, wenn du sie geliebt hast.“
„Aber das habe ich nicht. Und sie mich auch nicht.“ Er zuckte die Achseln. „Für mich war damals klar, dass wir einfach eine schöne gemeinsame Zeit haben, aber beide weiterziehen wollten. Und komm mir jetzt bitte nicht mit Onkel Norbert!“
„Dann war sie also schwanger, als du weggezogen bist?“
Tom sah plötzlich ganz reumütig aus. „Scheint so. Ich hatte keine Ahnung davon“, antwortete er. „Ich hatte Elise zwar meine neue Adresse gegeben, aber sie hat mir nie geschrieben. Dabei wäre ich sofort zurückgekehrt, wenn ich von der Schwangerschaft gewusst hätte. Ich hätte sie unterstützt. Vielleicht hätte ich sie sogar geheiratet, auch wenn wir wahrscheinlich unglücklich geworden wären.“
So wie wir, meinst du wohl? schoss es Marnie durch den Kopf. Dabei hatte sie selbst ihre Ehe bis auf die letzten Monate eigentlich als die glücklichste Zeit ihres Lebens empfunden.
„Hast du sie denn nie besucht, nachdem du weggezogen bist?“, fragte sie.
„Nein. Sie hat es mir nie vorgeschlagen, und ich ihr auch nicht.“
Draußen war es inzwischen dunkel geworden, was zu Marnies düsterer Stimmung passte.
„Ich schäme mich ein bisschen dafür, das sagen zu müssen, aber ich habe kaum an sie gedacht“, erklärte Tom.
Marnie war es unbegreiflich, wie er mit einer Frau ins Bett gehen konnte, die ihm so wenig bedeutete, aber Männer waren vermutlich einfach so. Außerdem war es als Single schließlich sein gutes Recht gewesen.
„Letztes Jahr bekam ich dann plötzlich einen Brief von einem Stockholmer Anwalt“, fuhr Tom fort. „Darin stand, dass Elise an einer Gehirnblutung gestorben war. Da mein Name auf der Geburtsurkunde ihres Sohns stand, wollte er wissen, ob ich das Sorgerecht übernehmen will.“
„Das muss ja ein gewaltiger Schock für dich gewesen sein.“
„Allerdings. Zuerst wollte ich es gar nicht wahrhaben. Ich hatte gehofft, dass Elises Eltern Cody übernehmen, aber das ging aus gesundheitlichen Gründen nicht.“
Marnie wurde von Mitleid mit dem allein zurückgebliebenen Jungen überwältigt. Niemand schien ihn wirklich gewollt zu haben. „Wie alt war er damals?“, fragte sie.
„Anderthalb. Und ich hatte absolut keine Ahnung von Kindern in diesem Alter.“
„Trotzdem hast du ihn aufgenommen.“
„Ich sah es einfach als meine Pflicht an, meinem Sohn ein Zuhause und eine gute Ausbildung zu bieten“, antwortete er. „Das ist immerhin mehr, als ich von meinen Eltern bekommen habe.“
„Ich habe auch den Eindruck, dass ihr euch sehr nahesteht.“
„Stimmt, Cody ist mir irgendwie ans Herz gewachsen.“ Tom lächelte schief. „Vielleicht, weil er mir dabei geholfen hat, eine Leere in meinem Leben auszufüllen …“, er suchte nach Worten, „… von der ich gar nicht wusste, dass sie existiert. Aber er ist doch sowieso unheimlich süß.“
Marnie spürte tiefe Wehmut in sich aufsteigen. Gleichzeitig empfand sie so etwas wie Genugtuung. Hatte sie nicht schon immer gewusst, dass Tom ein toller Vater wäre, schlechte Vorbilder hin oder her?
Sie war inzwischen davon überzeugt, dass seine schwere Kindheit ihn stark gemacht hatte. Er hatte gelernt, sich durchzusetzen und etwas aus sich zu machen.
Plötzlich fiel ihr auf, dass sie ihm ihre eigentliche Frage noch gar nicht gestellt hatte – aus Angst vor der Antwort. Anscheinend war sie noch immer sehr verletzlich, was das Thema anging, aber das durfte Tom auf keinen Fall merken. Sie würde daher versuchen, die Frage ganz beiläufig klingen zu lassen.
„Da du inzwischen so verrückt nach Cody bist“, sagte sie nonchalant, „willst du doch jetzt bestimmt ein ganzes Haus voller Kinder, oder? Natürlich nur mit der richtigen
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