Julia-Weihnachten Band 24
gewesen, deren Ursache jedoch seine Eltern gewesen waren. Sein Vater hatte ihn abwechselnd ignoriert oder geschlagen, und seine Mutter hatte ihn verlassen, als er dreizehn Jahre alt war. Aber das konnte man ihm ja wohl kaum vorwerfen, oder?
Trotzdem hatten die Händler mit schöner Regelmäßigkeit immer als Erstes ihn verdächtigt, wenn bei ihnen etwas gestohlen worden war, und auch die Polizei kam nach jeder Wandschmiererei bei ihm zu Hause vorbei, um nach Farbspraydosen zu suchen. Selbst Marnie hatte irgendwann mal zugegeben, dass die Eltern anderer Kinder sie vor ihm gewarnt hatten.
Dabei hatte man ihm höchstens seine schlechten Manieren und seine Ausdrucksweise vorwerfen können, was sich jedoch nach dem Einzug bei Jolene geändert hatte. Seiner Meinung nach hatte er genauso viel Anerkennung verdient wie jeder andere auch, vor allem, nachdem seine Schulleistungen sich verbessert hatten.
Aber die Einwohner hatten ihn einfach über einen Kamm mit seinem Vater geschoren. Diese kleinkarierten Spießer! Unvorstellbar, Cody hier großzuziehen.
Erst als Tom mit einem Teller gegen das Spülbecken stieß, wurde ihm bewusst, wie wütend er wieder war. Dabei gab es keinen Grund, seinen Frust an Jolenes Geschirr auszulassen, zumal sie und Marnie die einzigen zwei Menschen waren, die je an ihn geglaubt hatten.
Sie bedeuteten ihm wirklich sehr viel, vor allem Marnie. Er hatte sie in den vier Jahren ihrer Trennung mehr vermisst, als er je für möglich gehalten hätte.
Hoffentlich würde sie mit ihm nach Italien zurückkehren. Jetzt, wo er einen Sohn hatte, würde ihr Kinderwunsch sich vielleicht erübrigen.
Kinder waren nämlich das Letzte, das er gebrauchen konnte. Eine große Familie brachte die Verpflichtung mit sich, sesshaft zu werden und sich in eine Gemeinschaft einzugliedern – eine total beklemmende Vorstellung für jemanden, der es nie lange an einem Ort aushielt.
Klar wollte er Marnie zurückerobern. Aber erst einmal musste sie ihn so akzeptieren, wie er war, und keinen konventionellen Ehemann aus ihm machen wollen.
Nachdem Tom mit dem Abwasch fertig war, beschloss er, Marnie und Cody in die Scheune zu folgen. Er war neugierig, wie sein Sohn und die Frau, die er liebte, miteinander auskamen.
Vielleicht gab es ja doch noch Hoffnung für sie drei.
6. KAPITEL
Als Marnie gemeinsam mit Cody die Scheune betrat, erkannte sie in der Dunkelheit zunächst nur die Futtertraufe. Kurz darauf hörte sie ein Miau und sah eine getigerte Katze auf sich zukommen.
„Da, la gatta !“, rief Cody.
„Stimmt, da ist sie. Sie scheint hungrig zu sein.“ Marnie nahm eine Schachtel Trockenfutter von einem Bord und schüttete etwas davon in eine Metallschale auf dem Fußboden. Nachdem Miss Lacy anmutig daran geschnüffelt hatte, begann sie zu fressen, wobei ihr geschwollener Bauch fast bis auf den Fußboden hing.
Als die Schüssel leer war, kniete Marnie sich hin und kraulte Miss Lacy hinter den Ohren, bis sie laut zu schnurren begann.
Cody hockte sich ebenfalls hin und berührte vorsichtig ihr Fell.
Als Marnie die Hand über Miss Lacys Körper gleiten ließ, spürte sie plötzlich eine Bewegung unter der Bauchdecke der Katze.
So fühlt sich also ein Baby im Bauch an, dachte sie sehnsüchtig, verdrängte den Gedanken jedoch rasch wieder. Eine Schwangerschaft war für sie etwas so Schönes und gleichzeitig Unerreichbares, dass es viel zu wehtat, sie sich vorzustellen.
„Sie ist dick“, sagte Cody.
„Das kommt von den Kätzchen in ihrem Bauch“, antwortete Marnie.
„Wann kommen sie raus? Will mit ihnen spielen.“
„Bald. Ich schicke dir dann ein paar Fotos nach Italien.“
Für einen Moment gab Marnie sich doch ihrer Fantasie hin. Was wäre, wenn sie und Tom noch verheiratet wären und sie diejenige wäre, die neues Leben in sich tragen würde?
Sie stellte sich Toms Hand auf ihrem Bauch vor, sein Staunen über das Wunder, das sie gemeinsam geschaffen hatten. Wie ihr Baby wohl aussehen würde? Blond und blauäugig wie er oder brünett wie sie?
Unwillkürlich schossen ihr die Tränen in die Augen. Doch als sie plötzlich männliche Schritte näher kommen hörte, blinzelte sie sie erschrocken zurück.
Sie drehte sich um und erkannte Toms Silhouette in der Tür.
Gleichzeitig hörte sie im Hof einen Motor anspringen. Anscheinend wollte Artie gerade aufbrechen. „Ich will mich rasch von Dr. Spindler verabschieden“, sagte sie zu Tom und sprang auf.
Doch er stand breitbeinig in der Tür, als wolle er ihr den
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