JULIA WEIHNACHTSBAND Band 22
dass er nicht ganz überzeugend klang. „Es tut nicht mehr so weh wie früher, obwohl ich zugeben muss, dass ich ab und zu noch an sie denke. Dann überlege ich mir, was wäre, wenn sie die Verlobung nicht gelöst hätte. Wäre Melissa eine gute Farmersfrau geworden?“
Wahrscheinlich nicht, dachte Sophie. Obwohl sie auf einem Bauernhof aufgewachsen war, hatte Melissa sich noch nie gerne die Hände schmutzig gemacht. Und das musste sie auch nicht, weil sie immer so hilflos und zerbrechlich wirkte, dass stets jemand da war, der ihr die schweren Arbeiten abnahm.
Schon vor langer Zeit hatte Sophie akzeptiert, dass sie die Dinge erledigen musste, an die Melissa nicht mal einen Gedanken verschwendete. Sie bedauerte es nicht, denn sie liebte ihre Schwester und war stolz auf deren Schönheit.
„Ich mag Melissa tatsächlich noch“, sagte Bram. „Ein Teil von mir wird sie immer lieben. Aber ich bin nicht mehr verletzt, so wie du im Moment noch, Sophie. Ich weiß, es ist ein schreckliches Klischee, aber die Zeit heilt wirklich alle Wunden.“
Die Teekanne war inzwischen warm genug, und Sophie schüttete das heiße Wasser aus. Dann gab sie etwas losen Tee in die Kanne und goss ihn mit gekochtem Wasser aus dem Kessel auf.
„Ist Melissa der Grund, warum du nie geheiratet hast?“ Sie stellte zwei Tassen auf den Tisch.
Bram zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor und setzte sich.
„Zum Teil“, räumte er ein. „Aber es ist nicht so, dass ich immer noch auf sie warte. Ich bin durchaus bereit, mich auf jemand anders einzulassen.“
„Ich dachte, dass Rachel gut zu dir passen würde“, bemerkte Sophie. „Jedenfalls mochte ich sie.“
Wenn jemand ihm über Melissa hätte hinweghelfen können, dann Rachel – das jedenfalls war Sophies Meinung gewesen. Sie war Anwältin in Helmsley, eine warmherzige, lustige, intelligente Frau. Außerdem praktisch veranlagt, so wie Bram es brauchte.
„Ich mochte sie auch“, sagte Bram. „Sie war toll, und ich dachte, es wird was aus uns. Aber dann stellte sich heraus, dass wir unterschiedliche Vorstellungen hatten. Rachel war nicht darauf erpicht, die Frau eines Farmers zu werden. Sie wollte nach York ziehen. Dort könnte sie abends ausgehen, Freunde auf einen Drink treffen oder ins Kino gehen … aber ich hätte das Stadtleben nicht ertragen.“
Er zuckte mit den Schultern. „Deshalb haben wir uns entschieden, einen Schlussstrich zu ziehen.“
„Tut mir leid“, sagte Sophie. Aus reiner Gewohnheit ging sie zur Anrichte, wo Molly immer eine angeschlagene Dose mit köstlichen selbstgemachten Plätzchen aufbewahrt hatte. Doch als Sophie die Dose herausnahm, war sie leer.
Wie dumm von mir, schalt sie sich im Stillen. Natürlich war sie leer. Nichts hätte deutlicher zeigen können, dass Molly nicht mehr da war. Traurig stellte sie die Dose wieder zurück.
„Ich vermisse deine Mum“, sagte sie.
„Ich weiß. Das tue ich auch.“ Bram stand auf und fand eine Packung Kekse in der Speisekammer. „Wir legen sie am besten auf ihre Lieblingsplatte.“ Er nahm sie oben vom Küchenschrank.
Sophie hatte die Kuchenplatte als Weihnachtsgeschenk für Molly getöpfert, in dem Jahr, als sie entdeckt hatte, wie gut der Ton sich in ihren Händen anfühlte. Sie hatte ihn gebrannt und dann ein ziemlich aus der Form geratenes Schaf darauf gemalt. Verglichen mit ihren späteren Arbeiten sah die Platte recht plump aus. Doch Molly hatte sich sehr darübergefreut und darauf bestanden, dass sie immer zum Tee benutzt wurde.
Bram legte die Kekse auf die Platte und stellte sie auf den Tisch. Dann setzte er sich Sophie gegenüber und sah zu, wie sie Tee in die Becher goss.
„Es war schon sonderbar, als ich eben zum Haus ging“, meinte Bram. „Die Lichter waren an, ich habe den Teekessel pfeifen hören … fast so, als ob Mum noch da wäre. Abends, wenn ich in das leere Haus komme, vermisse ich sie am meisten. Sie war immer da, hat gekocht, Radio gehört, Tee getrunken. Ich denke manchmal, dass sie gerade nur hinausgegangen ist und jeden Augenblick zurückkommen könnte.“
Sophies Augen füllten sich mit Tränen. „Es tut mir so leid, Bram. Ich erzähle dir ständig von meinen Problemen, dabei ist es viel schlimmer, dass du Molly verloren hast. Wir kommst du denn damit zurecht?“
„Ach, ich komme schon klar“, sagte Bram leichthin. „Allerdings ist mir in den vergangenen Wochen erst bewusst geworden, wie viel Mum für mich getan hat. Als sie noch da war, habe ich mir keine großen
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