Julia Weihnachtsband Band 26
Wendys Anblick strahlende Engel vorzustellen, dachte er jetzt daran, wie gern er ihre lächelnden Lippen küssen würde. Sie waren rot, ohne Lippenstift oder Gloss. Sehr echt. Voll und verlockend.
Doch das war nicht gut. Sie würden in den nächsten Wochen zusammenarbeiten. Visionen von Engeln waren die eine Sache. Seine Angestellte küssen zu wollen, das war etwas anderes. Alles, was er sagte oder tat, konnte zu einer Anklage wegen sexueller Belästigung führen. Er musste aufhören, und zwar auf der Stelle.
Er ging zum Kühlschrank und nahm das Hackfleisch heraus.
Wendy legte ihr Plätzchen auf die Alufolie an einem Ende der Kücheninsel und griff nach dem nächsten. „Wo hast du kochen gelernt?“
„Bei unserer Haushälterin.“
„Ja, richtig. Deine Mutter war die letzte Generaldirektorin.“
Er nickte. „Mein Vater besitzt eine Investmentfirma, und meine Mutter hat die Fabrik geleitet. Meine Eltern waren schwer beschäftigt. Unsere Haushälterin hat mir Essen gemacht, mir beim Anziehen geholfen, mich zur Schule gefahren …“ Er wies auf den Herd. „Und sie hat mir das Kochen beigebracht. Keine großartigen Dinge, nur die Grundlagen. Eier. Hamburger.“
„Dann bist du im Haushalt ja gut zu gebrauchen.“
Er lachte. „Und als Zimmergenosse im College.“
„Wo hast du studiert?“
Er ahnte, dass sie nur ein unverfängliches Gespräch suchte, fühlte sich aber trotzdem seltsam, so, als ob er prahlen wollte. „In Harvard.“
„Ah. Natürlich.“
„Und du?“
„Ich bin zwei Jahre aufs College gegangen, dann habe ich meinen Mann kennengelernt und mir gesagt, ich könnte ja als Verwaltungsassistentin arbeiten, während er sein praktisches Jahr im hiesigen Krankenhaus ableistete. Als er dann gestorben war, hätte ich wohl meinen Abschluss nachholen können.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Aber ich konnte mich einfach nie entscheiden, was ich studieren sollte.“
„Entschuldige, ich wollte nicht neugierig sein.“
Wendy nahm sich das nächste Plätzchen zum Anmalen vor und hob noch einmal die Schultern. „Schon gut.“ Die Floskel kam ihr lässig über die Lippen, doch die Leere, die sie im Inneren spürte, stand im Widerspruch dazu. Trotzdem durfte sie, wie sie Harry geraten hatte, solchen Gedanken nicht nachhängen. Sie hatte nach vorn geschaut. War härter, klüger geworden. „Greg ist seit zwei Jahren tot.“
Harry ließ den Blick über die noch unbemalten Plätzchen schweifen und sagte beiläufig: „Cullens Mom ist dieses Jahr gestorben.“
Wendy fuhr zum Herd herum. „Oh, das tut mir leid.“
„Schon gut. Sie ist im Januar gestorben. Mein Dad und ich sind einigermaßen darüber hinweg.“
Als die Hamburger gebraten waren, hatten Wendy und Harry alle Plätzchen verziert und zum Trocknen ausgelegt. Wendy holte Pappteller aus der Vorratskammer und reichte sie Harry.
„Da wir nicht wissen, wann wir wieder Strom haben, sollten wir nicht so viel Geschirr schmutzig machen.“
Harry deckte den runden Tisch in der Zimmerecke. Cullen stellte die Platte mit den Hamburgern in die Mitte.
Wendy brachte Plastikbesteck, Brötchen und eine Tüte Chips. „Zum Nachtisch können wir misslungene Plätzchen essen.“
„Hört sich gut an“, erwiderte Cullen und rückte sich einen Stuhl zurecht.
Doch Harry hielt ihn zurück. „Da will ich sitzen!“ Er schob Cullen nach links, zu dem Platz neben Wendy.
Wendy musterte den Jungen. Er wirkte nicht betrübt. Er schien einfach am Kopfende des Tisches sitzen zu wollen. Deshalb sagte sie nichts. Sie reichten Hamburger und Brötchen, dann die Chips reihum. Bleiches Licht fiel durch die Fenster im oberen Teil der Hintertür. Die Sonne ging unter.
„Ich glaube, ich sollte eine Kerze holen.“
„Soll ich dir helfen?“
„Nein, geht schon. Ich habe nur so ein Gefühl, als könnte es dunkel sein, bevor wir aufgegessen haben.“ Sie stand auf, holte Streichhölzer und ein paar dicke runde Kerzen, zündete eine an und stellte sie auf den Tisch.
Während sie aßen, verblasste das Licht vorm Fenster, und der Kerzenschein bewirkte eine misslich romantische Atmosphäre. Wendy sah verstohlen Cullen an. Und er schaute verstohlen zurück. Zwischen ihnen sprühten unsichtbare Funken. Die Zeit blieb stehen, als sie sich in die Augen sahen.
„Mein Kopf sieht aus wie eine Wassermelone“, meinte Harry kichernd und zeigte auf einen Schatten, den das Kerzenlicht warf.
Wendy lachte. Diese spaßige Ablenkung war genau das, was sie brauchten. „Meiner
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