Julia Weihnachtsband Band 26
beugte er sich herunter, um Wendy zu küssen, und in ihrem Kopf drehte sich alles. Auf ein lockendes Streicheln seiner Zungenspitze hin öffnete sie ihm ihre Lippen. Cullen zog sie so eng an sich, dass ihre Körper nahezu miteinander verschmolzen, und sie verfluchte ihren schwarzwollenen Wintermantel. Der Kuss dauerte und dauerte, erhitzte ihr Blut, ließ sie ihren eigenen Namen vergessen, und plötzlich ließ Cullen sie los. Trat zurück.
„Gute Nacht.“
Verwirrt stieß sie den Atem aus, doch dann sagte sie sich, er wusste vermutlich, dass sie zurück zu Harry musste. Sie lächelte. Ausnahmsweise war seine anständige Geste wirklich eine anständige Geste. Sie konnte ihm im Grunde auch nicht widersprechen. So gern sie mit ihm zurück ins Hotel gegangen wäre und zu Ende geführt hätte, was sie gerade begonnen hatten, musste sie ihm doch recht geben. Harry brauchte sie. Außerdem blieb ihnen die eine Woche, die er noch in Barrington verbrachte, um das Angefangene fortzusetzen.
Vielleicht noch mehr als eine Woche.
Sie konnte den Herzenswunsch nicht unterdrücken, dass das, was zu Weihnachten begonnen hatte, vielleicht, vielleicht das Jahr über anhielt.
Doch das war ein Wunsch für eine andere Nacht. An diesem Abend wollte sie einfach nur in der Freude schwelgen, dass er sie wirklich mochte, so sehr, wie sie ihn mochte.
Und sie hatten noch eine Woche.
Am Samstagmorgen flog Cullen heim nach Miami.
„Bleibst du jetzt?“, fragte sein Vater, ohne von seiner Zeitung hochzublicken.
Cullen stellte seine Aktentasche auf den Küchentresen. „Ich brauche noch ein paar Tage, um fertig zu werden, Dad.“
„Aha.“ Die Stimme seines Vaters troff vor Skepsis. Er faltete die Zeitung und legte sie beiseite. „Wir haben gestern Abend einen Anruf von Paul McCoy erhalten. Er hat gekündigt.“
Cullen stockte der Atem. „Was?“
„Er hat uns belogen. Er war nicht im Urlaub, sondern hat sich einer Herzoperation unterzogen. Und jetzt meint er wohl, das Leben sei zu kurz, um es nur mit Arbeit auszufüllen, und er kommt nicht mehr zurück.“
Cullen ließ sich auf einen der Stühle in der Frühstücksnische fallen. Spontan kam ihm der Gedanke, dass er die Fabrik leiten konnte, doch er drängte ihn zurück. Allein schon der Vorschlag würde seinen Vater in Wut versetzen –, und das war vermutlich auch der Grund, warum sein Vater sich so sonderbar verhielt. Außerdem würde er dann das Leben aufgeben, das er sich in Miami eingerichtet hatte. Das Leben, das er liebte.
Das Lustgefühl nach den wenigen Küssen des Vorabends, das ihn noch immer beherrschte, erinnerte ihn daran, dass er vielleicht auch ein anderes Leben lieben konnte. Klar und deutlich sah er vor sich, wie er Wendy heiratete, das alte Ungetüm von Haus renovierte, das über Generationen hinweg seiner Familie gehört hatte, bevor Wendy es kaufte, und Harry großzog.
Freude erfasste ihn. Als hätte sein ganzes Leben auf diesen Moment hingezielt. Auf diese Entscheidung.
Die Stimme seines Vaters holte ihn zurück in die Wirklichkeit. „Ich habe bereits eine Arbeitsagentur angerufen. Vorstellungsgespräche finden am Sonntagnachmittag und Montagmorgen in deinem Hotel statt.“
„Das ging aber schnell.“
„Ich habe dem Vermittler einen Bonus in Aussicht gestellt, wenn wir noch vor Weihnachten eine feste Zusage bekommen.“
„Viel Zeit ist das nicht.“
„Eine Woche. Die Wirtschaft liegt am Boden. Viele Menschen suchen Arbeit. Mancher wird die Chance auf diesen Job als sein Weihnachtswunder betrachten.“
Und plötzlich erkannte Cullen die Wahrheit. „Du willst nicht riskieren, dass ich dort bleibe.“
Donald Barrington atmete tief durch. „Ich sehe ein paar Anzeichen, die mir nicht behagen, Cullen.“ Er griff nach seinem Kaffee. „Versteh mich nicht falsch. Ich bin nicht so voreingenommen zu bestreiten, dass es in Barrington nette Leute gibt. Gute Leute. Aber es ist nun mal so, dass diese Fabrik die Barringtons in ein schwarzes Loch saugt, aus dem sie nie wieder herausfinden. Du weißt, was mit deiner Mutter geschehen ist.“
„Ich bin nicht meine Mutter.“
„Nein. Du bist eher wie ich. Du wirst eine Frau finden, die du wirklich liebst und von der du glaubst, dass sie dich liebt, und sie wird dich an die Fabrik binden. Anfangs glaubst du es vielleicht nicht. Du wirst so besessen von ihr sein, dass du denkst, dein Glück würde ewig halten. Doch eines Tages hast du die Fabrik satt und regst an, einen Geschäftsführer einzustellen, damit du
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