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Julia

Julia

Titel: Julia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Fortier
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gespielter Besorgnis: »Na schön, Miss Tolomei, dann erklären Sie mir doch mal, warum Sie glauben, dass Ihnen jemand nach dem Leben trachtet.«
    Auch wenn ich keine Ahnung hatte, wo ich hinsollte - ich wäre auf der Stelle aus seinem Büro marschiert, hätte er mich nicht endlich Miss Tolomei genannt. »Nun ja ...«, begann ich, während ich verlegen auf die vordere Kante meines Stuhles rutschte, »wie wäre es damit: Er ist mir durch die Straßen gefolgt, in mein Hotelzimmer eingebrochen und heute Vormittag mit einer Schusswaffe in der Hand hinter mir hergeschlichen ...«
    »Das«, sagte Alessandro, der aussah, als müsste er meinetwegen viel Geduld aufbringen, »heißt noch nicht, dass er wirklich vorhat, Sie zu töten.« Für einen Moment betrachtete er mein Gesicht, dann runzelte er die Stirn. »Wie soll ich Ihnen helfen, wenn Sie mir nicht die Wahrheit sagen?«
    »Aber das tue ich doch! Ich schwöre es!« Ich überlegte, was ich noch sagen könnte, um ihn zu überzeugen, doch mein Blick wurde wie magisch von den Tätowierungen auf seinem rechten Unterarm angezogen. Mein Gehirn brauchte eine Weile, um diese Information zu verarbeiten. Das war nicht der Alessandro, mit dem ich hier im Palazzo Salimbeni gerechnet hatte. Der Alessandro, den ich kannte, wirkte geschliffen und subtil, wenn nicht sogar steif und altmodisch. Jedenfalls passte es ganz und gar nicht zu ihm, sich eine Libelle - oder was zum Teufel das sein mochte - ins Handgelenk ätzen zu lassen.
    Falls er meine Gedanken erriet, ließ er es sich nicht anmerken. »Nicht die ganze Wahrheit. Da fehlen noch eine Menge Puzzleteile zum großen Bild.«
    Ruckartig richtete ich mich auf. »Wie kommen Sie darauf, dass es ein großes Bild gibt?«
    »Das gibt es immer. Los, nun erzählen Sie mir schon, hinter was er her ist.«
    Ich holte tief Luft. Mir war nur allzu bewusst, dass ich mich selbst in diese Situation gebracht hatte und ich ihm eine substantiellere Erklärung schuldete. »Also gut«, sagte ich schließlich, »ich glaube, er hat es auf etwas abgesehen, das meine Mutter mir hinterlassen hat. Irgendein Familienerbstück, das meine Eltern vor Jahren gefunden haben, und von dem meine Mutter wollte, dass ich es bekomme. Deswegen hat sie es an einem Ort versteckt, wo nur ich es finden konnte. Und warum? Weil ich - ob es Ihnen gefällt oder nicht - Giulietta Tolomei bin.«
    Ich bekräftigte meine Worte mit einem trotzigen Blick. Dabei stellte ich fest, dass der Ausdruck, mit dem er mich musterte, fast schon an ein Lächeln grenzte. »Und, haben Sie das Erbstück gefunden?«, fragte er.
    »Ich glaube nicht. Noch nicht. Bisher beschränkt sich meine Ausbeute auf eine rostige Truhe voller Papiere, ein altes Banner und eine Art Dolch, und ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen ...«
    »Aspetti!« Alessandro forderte mich mit einer Handbewegung auf, eine Pause einzulegen. »Was für Papiere, was für ein Banner?«
    »Geschichten, Briefe. Albernes Zeug. Das wollen Sie bestimmt nicht hören. Und bei dem Banner handelt es sich allem Anschein nach um einen Cencio aus dem Jahre 1340. Er war um einen Dolch gewickelt, und ich habe beides in einer Schublade gefunden ...«
    »Warten Sie! Wollen Sie damit behaupten, Sie haben den Cencio von 1340 gefunden?«
    Es überraschte mich, dass er auf diese Neuigkeit noch heftiger reagierte als mein Cousin Peppo. »Ja, ich glaube schon. Anscheinend ist er etwas ganz Besonderes. Und der Dolch ...«
    »Wo ist er?«
    »An einem sicheren Ort. Ich habe ihn im Eulenmuseum gelassen.« Da ich merkte, dass er mir nicht folgen konnte, fügte ich hinzu: »Mein Cousin Peppo ist dort Kurator. Er hat mir versprochen, ihn in den Safe zu legen.«
    Alessandro stöhnte auf und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar.
    »Was?«, fragte ich. »War das keine gute Idee?«
    »Merda!« Er sprang auf, nahm eine Pistole aus einer Schublade und schob sie in das Halfter an seinem Gürtel. »Kommen Sie, lassen Sie uns gehen!«
    »Moment mal! Was soll denn das?« Widerwillig stand ich auf. »Sie schlagen doch wohl nicht vor, dass wir mit dieser ... Knarre zu meinem Cousin gehen?«
    »Nein, ein Vorschlag war das nicht. Los jetzt!«
    Während wir den Gang entlangeilten, warf er einen kritischen Blick auf meine Füße. »Können Sie mit den Dingern rennen?«
    »Hören Sie«, antwortete ich, während ich versuchte, mit ihm Schritt zu halten, »damit eines von vorneherein klar ist: Ich halte nichts von Waffen. Ich will einfach nur Frieden.

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