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Julia

Julia

Titel: Julia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Fortier
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hätte, zeigte er dem Jungen lediglich die korrekte Position und gab ihm den Degen dann zurück. »Tocca a te!«
    Die Waffe ging ein paarmal zwischen den beiden hin und her, bis Alessandro schließlich einen weiteren Degen von der Wand holte und den Jungen zu einem Scheinkampf herausforderte, der erst endete, als eine Frauenstimme zornig rief: »Enrico! Dove sei?«
    Binnen einer Sekunde hingen die Waffen wieder an der Wand, und als die Großmutter kurz darauf im Türrahmen auftauchte, standen Alessandro und der Junge beide ganz unschuldsvoll da, die Hände hinter dem Rücken.
    »Ah«, rief die Frau, die über Alessandros Anblick sichtlich erfreut war und ihn auf beide Wangen küsste, »Romeo!«
    Sie sagte noch etliches andere, aber das bekam ich alles nicht mehr mit. Hätte ich nicht so dicht neben Janice gestanden, dann wäre ich, da meine Beine sich soeben in Softeis verwandelt hatten, wahrscheinlich auf die Knie gesunken.
    Alessandro war Romeo.
    Natürlich. Wieso hatte ich das nicht schon viel eher begriffen? Befanden wir uns hier nicht im Adlermuseum? Hatte ich die Wahrheit nicht schon in Malènas Augen gesehen? ... Und in seinen?
    »Lieber Himmel, Jules«, formte Janice lautlos mit den Lippen, »reiß dich zusammen!«
    Aber dazu war ich in dem Moment nicht mehr in der Lage.
    Alles, was ich über Alessandro zu wissen geglaubt hatte, drehte sich vor meinen Augen wie eine Roulettescheibe, und mir wurde klar, dass ich - in jedem einzelnen Gespräch mit ihm - mein ganzes Geld auf die falsche Farbe gesetzt hatte.
    Er war weder Paris noch Salimbeni, und auch nicht Nino. Nein, er war von Anfang an Romeo gewesen: nicht Romeo, der Playboy und Partyschreck mit dem Elfenhut, sondern Romeo der Verbannte, der - vor langer Zeit durch Tratsch und Aberglauben vertrieben - sein ganzes Leben versucht hatte, ein anderer zu werden. Ich erinnerte mich noch genau an den Moment, als er Romeo mir gegenüber als seinen Rivalen bezeichnet hatte. Den Leuten zufolge besaß Romeo teuflische Hände, und deswegen wünschten sie ihm den Tod. Romeo war nicht der Mann, den ich zu kennen glaubte. Er würde in meinen Armen niemals Reime von sich geben. Andererseits war Romeo sehr wohl der Mann, der spät nachts in Maestro Lippis Atelier auftauchte, um ein Glas Wein zu trinken und das Porträt von Giulietta Tolomei zu betrachten. Für mich sagte das mehr als die schönsten Verse.
    Warum aber hatte er mir niemals die Wahrheit gestanden? Ich hatte ihn immer wieder nach Romeo gefragt, aber jedes Mal hatte er geantwortet, als sprächen wir von jemand anderem. Einem Jemand, den ich besser nie kennenlernte, weil das sehr schlecht für mich wäre.
    Plötzlich musste ich daran denken, wie er mir die Patronenkugel gezeigt hatte, die an einem Lederband um seinen Hals hing. Und Peppo hatte mir auf seinem Krankenbett erzählt, alle hielten Romeo für tot. Mir fiel auch wieder ein, was für ein Gesicht Alessandro gemacht hatte, als Peppo über Romeos uneheliche Geburt sprach. Erst jetzt begriff ich seine Wut auf die Mitglieder meiner Tolomei-Familie, die es - in Unkenntnis seiner wahren Identität - alle so genossen, ihn wie einen Salimbeni und somit wie einen Feind zu behandeln.
    Ich selbst machte da keine Ausnahme.
    Nachdem endlich alle den Raum verlassen hatten - Großmutter und Enrico in die eine Richtung, Alessandro in eine andere -, packte Janice mich an den Schultern und funkelte mich an. »Würdest du dich jetzt bitte zusammenreißen!«
    Aber das war zu viel verlangt. »Romeo!«, stöhnte ich und fasste mir an den Kopf. »Wie kann er Romeo sein? Ich bin eine solche Idiotin!«
    »Ja, bist du, aber das ist ja nichts Neues.« Janice war nicht in der Stimmung, nett zu mir zu sein. »Wir wissen doch gar nicht, ob er tatsächlich Romeo ist! Der Romeo. Vielleicht heißt er einfach mit zweitem Vornamen so. Romeo ist ein absolut gebräuchlicher italienischer Name. Und sollte er tatsächlich der Romeo sein ... dann ändert das gar nichts. Er steckt trotzdem mit den Salimbenis unter einer Decke und hat dein dämliches Hotelzimmer verwüstet.«
    Ich schluckte ein paarmal. »Es geht mir gar nicht gut.«
    »Na, dann lass uns schleunigst von hier verschwinden.« Janice nahm mich an der Hand und zog mich hinter sich her.
    Eigentlich wollte sie mit mir zum Hauptausgang, doch stattdessen landeten wir in einem Teil der Ausstellung, den wir noch nicht gesehen hatten. Es handelte sich um eine schwach beleuchtete Kammer mit Glaskästen an der Wand, in denen sehr alte, zum

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