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Julia

Julia

Titel: Julia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Fortier
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befand, weil irgendein anderes, unerlässliches Schlüsselstück offensichtlich fehlte.
    Ohne große Vorwarnung kam er zur Tür herüber, so dass mir kaum Zeit blieb, mich in einem dunklen Winkel zu verstecken, ehe Umberto hinaus auf die Loggia trat und Alessandro mit einem ungeduldigen Winken aufforderte, ihm zu folgen. In eine Wandnische gepresst, beobachtete ich, wie die beiden den Gang entlangeilten und dann leise nach unten in die große Eingangshalle verschwanden.
    Nun endlich spürte ich, wie mir die Tränen in die Augen stiegen, doch ich blinzelte sie gleich wieder weg, weil ich zu dem Schluss kam, dass ich eher wütend als traurig war. Na schön. Alessandro war also hinter dem Geld her, genau wie Janice geahnt hatte. Allerdings hätte er dann wenigstens den Anstand besitzen können, die Finger von mir zu lassen, statt alles nur noch schlimmer zu machen. Was Umberto betraf, gab es nicht mal in Tante Roses großem Wörterbuch genug Ausdrücke, um zu beschreiben, wie wütend ich darüber war, dass er an diesem Abend hier auftauchte und mir das antat. Ganz offensichtlich war er derjenige, der bei Alessandro die Fäden zog und ihm den Auftrag erteilt hatte, möglichst rund um die Uhr ein Auge - und zwei Hände, einen Mund, et cetera - auf mich zu haben.
    Mein Körper führte den einzig logischen nächsten Schachzug aus, noch ehe mein Gehirn ihn abgesegnet hatte. Ohne nachzudenken stürmte ich in den Raum, den die beiden soeben verlassen hatten, und schnappte mir das Buch und das Fläschchen - Letzteres aus reiner Boshaftigkeit. Dann rannte ich damit zurück in Alessandros Zimmer und band meine Beute in ein Hemd, das auf seinem Bett lag.
    Während ich mich nach weiteren Dingen umsah, die ich in meiner Rolle als Opfer unter Umständen benötigen würde, kam mir in den Sinn, dass der nützlichste Gegenstand, den ich überhaupt stehlen konnte, der Schlüssel des Alfa Romeo war. Sofort riss ich die Schublade von Alessandros Nachttisch auf, fand darin aber nur eine Handvoll ausländische Münzen, einen Rosenkranz und ein Taschenmesser. Ohne mir die Zeit zu nehmen, die Schublade wieder zu schließen, ließ ich den Blick durch den Raum schweifen. Ich versuchte mich in Alessandro hineinzuversetzen. »Romeo, Romeo«, murmelte ich, »sag an, wo liegt dein Autoschlüssel?«
    Als ich schließlich auf die geniale Idee kam, unter dem Kopfkissen nachzusehen, fand ich zur Belohnung nicht nur den Autoschlüssel, sondern darüber hinaus auch noch einen Revolver. Ohne lange darüber nachzudenken, schnappte ich mir beides. Erstaunt stellte ich fest, wie schwer die Waffe war. Wäre ich nicht so aufgeregt gewesen, hätte ich wahrscheinlich über mich selbst lachen müssen. Was war aus der Pazifistin geworden? Meine rosaroten Träume von einer Welt, in der vollkommene Chancengleichheit herrschte und niemand eine Waffe brauchte, hatten sich schlagartig verflüchtigt. Für mich war Alessandros Revolver jetzt genau die Art von Gleichmacher, die ich brauchte.
    Rasch rannte ich in mein eigenes Zimmer zurück und warf alles in meine Tasche. Als ich gerade den Reißverschluss zuziehen wollte, fiel mein Blick auf den Ring an meinem Finger. Ja, er gehörte mir, und ja, er war aus reinem Gold, aber gleichzeitig symbolisierte er meine spirituelle - und nun auch noch körperliche - Symbiose mit dem Mann, der zweimal in mein Hotelzimmer eingebrochen war und die Hälfte meiner Schatzsucher-Anleitung gestohlen hatte, um sie dem heuchlerischen Mistkerl zu übergeben, der höchstwahrscheinlich meine Eltern ermordet hatte. Deswegen zerrte ich mit aller Kraft, bis der Ring endlich abging, und hinterließ ihn Alessandro als einen letzten melodramatischen Abschiedsgruß auf einem der Kopfkissen.
    Als ich fast schon im Gehen begriffen war, fiel mir der Cencio ein. Ich zog ihn vom Bett und faltete ihn behutsam, ehe ich ihn zu den anderen Sachen in die Tasche legte. Dabei war mir durchaus bewusst, dass ich keinerlei Verwendung dafür hatte und es vermutlich auch nie schaffen würde, ihn zu verkaufen - vor allem nicht in seinem gegenwärtigen Zustand. Nein, ich wollte einfach nicht, dass sie ihn bekamen.
    Woraufhin ich mir mein Diebesgut schnappte und wieder hinaus auf den Balkon schlich, ohne auf Applaus zu warten.
     
    Der alte Weinstock, der die ganze Wand bedeckte, war gerade stark genug, um mein Gewicht auszuhalten. Langsam begann ich mit dem Abstieg vom Balkon. Vorher hatte ich die Tasche auf einen Busch hinunterfallen lassen, der einen weichen, fedrigen

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