Julia
hauptsächlich durch ein gehöriges Maß an Neugier in Bewegung gehalten wurde - warf nur einen raschen Blick auf die Karteikarte und nickte dann wissend.
»Ach ja«, sagte sie, kein bisschen überrascht, »die stammt aus dem Universitätsarchiv. Genauer gesagt, aus der historischen Sammlung. Ich glaube, dort benutzen sie immer noch den alten Katalog. Lassen Sie mich mal sehen ... ja, das steht für Spätes Mittelalter. Das hier bedeutet Heimatgeschichte, und das hier ...« - sie deutete auf den Rest der Signatur - »ist der Buchstabe das betreffenden Regals, K, und die Nummer der Schublade, 3-17b. Wobei hier nichts über den Inhalt steht. Aber zumindest wissen Sie jetzt, was die Signatur bedeutet.« Nachdem sie das Rätsel so schnell gelöst hatte, blickte sie erwartungsvoll zu mir hoch, als hoffte sie auf ein weiteres. »Wie sind Sie denn an diese Karte gekommen?«
»Durch meine Mutter, beziehungsweise meinen Vater. Ich glaube, er hat als Professor an der Universität gelehrt. Professor Tolomei?«
Die alte Dame strahlte plötzlich wie ein Weihnachtsbaum.
»Ich erinnere mich an ihn! Ich habe bei ihm studiert! Er war auch derjenige, der überhaupt erst Ordnung in die ganze Sammlung gebracht hat. Vorher herrschte dort das totale Chaos. Ich habe damals zwei Sommer lang Nummern auf Schubladen geklebt. Allerdings ... frage ich mich, warum er diese Karte herausgenommen hat. Er war immer so ungehalten darüber, wenn die Leute Karteikarten einfach herumliegen ließen.«
Die Universität von Siena war über die ganze Stadt verteilt, doch das historische Archiv lag nur einen strammen Fußmarsch entfernt in Richtung des Stadttores namens Porta Tufi. Ich brauchte eine Weile, bis ich zwischen den unauffälligen Häuserfronten entlang der Straße die richtige entdeckt hatte. Letztendlich ließ vor allem das Flickwerk aus sozialistischen Plakaten draußen am Zaun auf ein Haus der Bildung schließen.
In der Hoffnung, für eine Studentin gehalten zu werden, betrat ich das Gebäude durch das Tor, das die Buchhändlerin mir beschrieben hatte, und eilte geradewegs ins Untergeschoss. Vielleicht lag es daran, dass gerade alle Siesta hielten, oder vielleicht war im Sommer sowieso niemand da, jedenfalls schaffte ich es, nach unten zu gelangen, ohne einem einzigen Menschen über den Weg zu laufen. Im ganzen Gebäude war es wunderbar kühl und ruhig. Es erschien mir fast zu einfach.
Nur mit meiner Karteikarte als Wegweiser wanderte ich mehrmals durch das ganze Archiv, ohne jedoch die richtigen Regale zu finden. Wie mir die Buchhändlerin erklärt hatte, handelte es sich um eine separate Sammlung, die schon früher kaum von jemandem benutzt worden war. Ich musste in den hintersten Winkel des Archivs - eine Wegbeschreibung, die mir insofern Schwierigkeiten bereitete, als in meinen Augen jeder Teil des Archivs wie der hinterste Winkel aussah. Außerdem waren die Regale, die ich vor mir hatte, nicht mit Schubladen ausgestattet, sondern ganz normale Regale voller Bücher. Kunstgegenstände konnte ich keine entdecken, und auch kein Buch mit der Signatur K3-17b.
Nachdem ich mindestens zwanzig Minuten herumgeirrt war, kam ich schließlich auf die Idee, eine Tür am hinteren Ende des Saales auszuprobieren. Es handelte sich um eine Metalltür, die fast an die Sorte erinnerte, mit denen die Tresorräume von Banken gesichert wurden, doch wider Erwarten ließ sie sich problemlos öffnen. Dahinter lag ein weiterer - kleinerer -Raum, der offenbar auf eine besondere Art klimatisiert wurde, so dass die Luft dort ganz anders roch, fast wie Mottenkugeln mit einem Hauch von Schokoladenaroma.
Nun ergab meine Karteikarte endlich einen Sinn. Diese Regale waren tatsächlich mit Schubladen ausgestattet, genau wie die Buchhändlerin es beschrieben hatte. Die Sammlung war chronologisch angeordnet, sie begann mit der Zeit der Etrusker und endete - zumindest vermutete ich das - mit dem Jahr, in dem mein Vater gestorben war. Ganz offensichtlich machte niemand davon Gebrauch, denn alles war mit einer dicken Staubschicht überzogen, und als ich versuchte, die Rollleiter zu verschieben, widersetzte sie sich zunächst hartnäckig, weil die Metallräder auf dem Boden festgerostet waren. Als sie sich schließlich - unter lautem, entrüstetem Ächzen - doch bewegte, blieben auf dem grauen Linoleum kleine braune Abdrücke zurück.
Ich platzierte die Leiter vor dem Regal mit dem Buchstaben K, und stieg hinauf, um mir Reihe 3 etwas genauer anzusehen. Sie bestand aus
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