Julian und das Ende der Nacht
sehnsüchtig auf ihn wartete, die er unsterblich liebte. Zielstrebig lief sie auf ihn zu und umarmte ihn stürmisch. „Hast du Ewan gesehen?", flüsterte sie ihm ins Ohr. „Ich bin ihm begegnet. Er ist wirklich geläutert und ich denke, wir haben eine zweite Chance.“
„Ich wünsche mir auch, jemanden wiederzusehen, oben auf der Erde.“ John strich sanft über das blonde Haar seiner Frau. „Keine Angst Marie, bald ist es so weit.“
46
„Du bist so still, seit wir die anderen verlassen haben. Bedrückt dich etwas?“ Fragend blickte Sara Julian von der Seite an.
„Der Mann der Jared getötet hat, ist mein Bruder Tamino. Ich habe ihn und John lange nicht gesehen und hätte gerne mit ihnen geredet“, erwiderte Julian leise. „Wenn Tamino ein Sohn der Nacht ist, wieso konnte er sich teleportieren?“
„Ich lernte Tamino vor zweihundert Jahren kennen, damals tötete Jared Taminos sterbliche Geliebte Emma. Auch ich hatte mit Jared eine Rechnung offen wegen meinem Gemälde, das er gestohlen hatte. Ich hatte damals Jared und Henry entdeckt, wie sie in ein Haus schlichen, und folgte ihnen. Ich konnte Emma nicht mehr retten, sie war schon tot, als ich im Obergeschoss ankam. Jared und Henry suchten so schnell das Weite, dass sie mich nicht bemerkt haben. Ich hörte Taminos Schreie, er war außer sich vor Schmerz. Ich entschloss mich Tamino beizustehen und versprach bei der Suche nach Jared zu helfen.“
„Wir bleiben mit Henry und all den anderen in Verbindung. Ich bin sicher, wir werden wieder von Tamino hören“, munterte Sara Julian auf.
„Wir sollten vorerst unter uns bleiben“, erwiderte Julian schmunzelnd. Mit wild klopfendem Herzen lief Sara an Julians Seite durch eine Stadt, die langsam schlafen ging. Es war eine Nacht wie jede andere, und doch war alles anders. Keine Tränen rannen über Saras Gesicht, weil das Glück der anderen für sie unerträglich war. Kein Schmerz hielt ihr Herz umklammert und keine Hoffnungslosigkeit überfiel sie beim Gedanken an den Morgen. Sara spürte die Wärme einer Hand, die für immer blieb und am Ende der Nacht wartete ein Schicksal, dass auch sie mitnahm in ein neues aufregendes Leben.
47
Verloren starrte Emely in den Nachthimmel und sah in den Wolken, die dunkel aufgezogen waren, Gesichter, die ihr höhnisch zulachten. Ein Jahr war es heute her, dass ihre Schwester Marie im Dunkel einer Nacht verschwand, ohne Spuren zu hinterlassen. Heute war Emely in das Haus ihrer älteren Schwester zurückgekehrt, um Maries Hab und Gut in Kartons zu verpacken, um endgültig Abschied zu nehmen, von einem Leben, in dem ihr die Liebe einer Schwester stets durch dunkle Stunden geholfen hatte. Emelys Herz schmerzte, als sie ihren Blick vom Himmel abwandte und zu dem Tagebuch blickte, das auf dem Nachtschrank ihrer Schwester lag. Emelys Herz schlug wild bei dem Gedanken, die Zeilen zu lesen, die Marie ihrem Tagebuch anvertraut hatte. Angst und Neugier beherrschten Emely gleichermaßen, als sie sich Maries Himmelbett näherte und darauf Platz nahm. Behutsam nahm Emely das blaue Tagebuch in ihre zitternden Hände und schlug es auf. „Ich kann es nicht länger aufschieben“, flüsterte sie und las die ersten Zeilen: Dieses Buch zu schreiben dient meinem Seelenheil, denn wenn es ein Gesetz gibt, das allen von uns heilig ist, dann dieses: Erzähle niemals einem Sterblichen von uns! Emelys Blicke hafteten an den Worten, die befremdlich waren. Doch konnte sie nicht anders, als weiter zu lesen. Wir sind die letzte Schöpfung. Wir sind das dritte Geheimnis der Fatima. Emely wurde unheimlich ums Herz. Sie schluckte schwer, bevor sie weiter las.
Sie sagen, wir sind Ungeheuer. Sie sagen, sie müssen uns aufhalten. Wenige Kriege werden sehr schnell geführt und sind nach einigen Tagen vorbei. Andere dauern Jahre. Die Kriege der Evolution aber nehmen viele Jahre in Anspruch. Es kann Generationen dauern, bis sie vorbei sind. Emely atmete schwer, zu fremd waren ihr diese Worte, die ihre Schwester niedergeschrieben hatte und doch hing ihr Blick wie gebannt an den Zeilen. Veränderungen, die sich infolge kleinerer Schlachten ergeben, sind manchmal nur von kurzer Dauer. Ein neues seltsames Chromosom in unseren Körpern löste eine neue Schlacht in einem andauernden Krieg aus. Dieser Krieg wird lange dauern, denn er wird gegen Furcht, Hass und Argwohn geführt. Einige Menschen betrachten das neue Menschengeschlecht als Bedrohung für das alte. „Neues Menschengeschlecht“, flüsterte Emely. Sie
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