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Julias Geheimnis

Julias Geheimnis

Titel: Julias Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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genau, was für ein Mensch er war.
    »Vielleicht werden Sie sich nicht immer hinter Gott verstecken können, Doktor«, sagte sie und zwang ihre Stimme, nicht zu zittern.
    Er packte fester zu. »Und vielleicht«, entgegnete er, »sollten Sie aufpassen, Schwester Julia.«
    Sie wich nicht zurück, und kurz darauf schien er zur Besinnung zu kommen. Er ließ sie los und zog seine Hand weg.
    Er nahm etwas Geld aus dem Umschlag. »Ich möchte Sie gern für die Aufgabe, die Sie heute übernommen haben, entschädigen, Schwester.« Seine Stimme klang jetzt sachlich und ruhig.
    Ungläubig starrte sie ihn an. Glaubte er wirklich, dass sich jeder so leicht kaufen ließ? War die Welt tatsächlich so? »Ich will kein Geld«, gab sie leise zurück. »Ich will nichts. Aber ich will nie wieder etwas damit zu tun haben.«
    »Nun gut, Schwester.« Er öffnete ihr die Tür. Und als sie das Zimmer verließ, wechselten die beiden einen Blick, einen Blick, der so vollkommenes Verstehen ausdrückte, dass sie sich schwach fühlte, als könnten ihre Beine unter ihr nachgeben. Aber sie ging hocherhobenen Hauptes hinaus und kehrte nach Santa Ana zurück.
    Im Kloster eilte Schwester Julia in die Kapelle, um zu beten. Sie bat Gott um Vergebung für die Dinge, die in Seinem Namen geschehen waren. Namen   … Sie ging in ihre Zelle, holte das Buch mit den Namen hervor und seufzte. Es waren so viele. Sie hatte getan, was sie konnte. Aber jetzt konntesie nicht mehr. War sie auch noch eine selbstständige Person oder nur noch eine Schwester im Kloster Santa Ana? Konnte sie noch ihre eigenen Entscheidungen treffen? Hatte sie noch eine Stimme?
    Sie ging zur ehrwürdigen Mutter und erklärte ihr, sie könne nicht mehr in der Klinik für Dr. López arbeiten.
    »Warum denn das?«, wollte die Mutter Oberin in scharfem Ton wissen.
    »Ich kann nicht«, sagte Schwester Julia. »Ich will nicht.« Ihr Gesicht war tränennass. Aber um wen weinte sie? Um die Mütter, die ihre Babys verloren hatten? Um die Kinder, die nie erfahren würden, wer sie wirklich waren? Oder weinte sie etwa um sich selbst und um das, was sie verloren hatte?
    »Aber aus welchem Grund, mein Kind?« Ihr aufgewühlter Zustand schien die ehrwürdige Mutter etwas milder werden zu lassen.
    Schwester Julia schluckte heftig. Sollte sie ihr von dem Geld erzählen? Von dem, was sie jetzt mit Gewissheit über Dr. López und die Klinik wusste? Sollte sie ihr von all dem erzählen, was in Gottes Namen getan worden war? Sie sehnte sich danach, es zu tun. Es wäre eine solche Erleichterung gewesen, es jemandem zu erzählen, diese Bürde nach all diesen Jahren loszuwerden. Und doch   … Sie hatte schon früher versucht, der Oberin davon zu erzählen. Und jedes Mal war sie mit derselben Geschichte abgespeist worden. Die ehrwürdige Mutter hatte den Arzt immer verteidigt. Warum sollte sich daran etwas geändert haben? Die Wahrheit war, dass Schwester Julia nicht wusste, ob sie ihr vertrauen konnte.
    »Ich kann es nicht sagen.« Sie neigte den Kopf. »Aber ich kann unmöglich dort weiterarbeiten. Ich brauche Zeit zum Gebet, ich muss meinen Gott wiederfinden.«
    Lange sah die ehrwürdige Mutter sie betrübt an, ohne ein Wort zu sagen. »Ich spreche mit dem Doktor«, erklärte sie schließlich.
    Schwester Julia konnte es nicht ertragen. Wenn sie noch einmal dorthin gehen musste   … Sie reckte die Schultern. »Ich gehe nicht zurück, ehrwürdige Mutter«, wiederholte sie.
    Wieder sah die Mutter Oberin sie an, und dann endlich legte sie die Hand auf Schwester Julias Kopf. »Das brauchst du nicht, mein Kind«, sagte sie. »Keine Angst.«
    »Danke, Mutter Oberin.« Und Schwester Julia spürte, wie ihre Last leichter wurde.
    »Aber hier kannst du nicht bleiben«, setzte die Ältere hinzu.
    Das erstaunte Schwester Julia nicht. Aber wohin konnte sie gehen? Dieses Kloster war seit vielen Jahren ihr Zuhause; sie hatte kein anderes mehr.
    Die ehrwürdige Mutter dachte nach. »Wir schicken dich auf die kanarische Insel Fuerteventura«, erklärte sie schließlich. »In ein kleines Kloster dort, das sich noch im Aufbau befindet. Es ist ruhig dort, und niemand wird dich behelligen. Du wirst Gelegenheit zur Einkehr und zum Gebet haben, wie du es dir wünschst.«
    »Wie Sie wünschen, ehrwürdige Mutter.« Der Gedanke war verlockend. Ruhe zu haben. Sicher zu sein. Gelegenheit zu haben, über alles, was geschehen war, nachzudenken. Doch sie wusste, wenn sie unbehelligt bleiben würde, würde dasselbe für Dr. López

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