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Julias Geheimnis

Julias Geheimnis

Titel: Julias Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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musste etwas Gutes sein.
    In die Klinik kamen immer weniger unverheiratete Mütter, und Schwester Julias Arbeitszeiten waren nicht mehr so lang. Das war eine Erleichterung. Jetzt hatte sie mehr Zeit, um zu lesen und die englische Sprache zu studieren. So viele große Werke waren in englischer Sprache geschrieben, und sie war froh, sie verstehen zu können. Das war eine ihrer größten Freuden. Aber es gab immer noch Todesfälle und Adoptionen, und Schwester Julia führte immer noch ihr Buch mit den Namen. Mittlerweile war es fast voll.
    Neulich, an einem Tag voller Herbstnebel und Laub, als die Stadt nach Feuchtigkeit und Holzfeuern roch, war Schwester Julia vor dem Buchladen auf den Ramblas stehen geblieben. Sie wollte nicht nur englische Werke lesen. Es wurden jetzt auch wieder Bücher auf Katalanisch veröffentlicht. Sie lächelte und sprach lautlos ein Dankgebet. Das war der erste Schritt zu einem neuen Aufschwung ihrer Kultur. Wenn ihre Eltern das doch nur miterleben könnten! Ihre Mutter hatte diese Welt nur ein Jahr nach ihrem Vater verlassen, als wäre ihr das Leben ohne ihn einfach zu schwergefallen. Seitdem hatte sie auch keine ihrer Schwestern mehr gesehen. Matilde und ihr Mann waren weggezogen. Schwester Julia hoffte nur, dass ihre Schwester die Kraft finden würde, das Leben anzunehmen, das ihr aufgezwungen worden war. Und Paloma   … Soweit Schwester Julia wusste, lebte sie immer noch in Barcelona, mit Mario Vamos, dem Mann, den sie aus Liebe geheiratet hatte. Aber zu ihrem großen Bedauern hatte sie sie nie wieder besucht.
    Schwester Julia fiel es heute sogar schwer, sich an die engen Familienbande von einst zu erinnern. Sie hatten überlebt, viele andere dagegen nicht. Aber es war nie einfach gewesen. Und waren die Mitglieder ihrer Familie nicht auch gebrochen worden, so wie alle anderen?
    Bei ihrer Ankunft in der Klinik war alles wie immer. Im Kreißsaal befanden sich zwei Frauen, beide in einem frühen Stadium der Geburt, und der Arzt wuselte in seinem Sprechzimmer herum, wie er es oft tat. Er machte niemals eine Pause, war immer ungeduldig und stets bereit, sein Kruzifix zu schwenken und von den Frauen, die immer noch seine Hilfe suchten, Bußfertigkeit zu fordern. Aber inzwischen strahlte er etwas Fanatisches aus. Sie fragte sich, wie lange das noch so weitergehen konnte.
    Nach ihrem Morgengebet half Schwester Julia den Krankenschwestern beim Bettenmachen und anderen Pflichten.Ein Mann suchte den Doktor wegen einer Adoption auf; sie sah sein Gesicht nicht, aber sie hörte die Selbstsicherheit in seiner tiefen, knarrenden Stimme, die aus Dr. López’ Büro drang. Unwillkürlich schnalzte sie missbilligend mit der Zunge.
    Nach der morgendlichen Visite zog Dr. López sie beiseite. »Ich habe eine sehr wichtige und vertrauliche Aufgabe für Sie, Schwester«, sagte er.
    »Sehr wohl, Doktor.« Schwester Julia neigte den Kopf. Was mochte das sein?
    »Die Zuwendung eines   …« Er räusperte sich lautstark. »…   unseres freundlichen Gönners ist fällig. Sie müssen sich mit diesem Mann treffen und mir dann das Geld unverzüglich bringen.«
    Eine Zuwendung?
    Sie musste verwirrt ausgesehen haben, denn der Doktor tat ihre Zweifel mit einer Handbewegung ab. »Machen Sie sich keine Sorgen, Schwester«, sagte er. »Sie sind vollkommen sicher. Es ist nicht weit. Ich gebe Ihnen die Wegbeschreibung.«
    Aber sie hatte sich keine Gedanken um ihre eigene Sicherheit gemacht. War sie es nicht gewöhnt, allein durch die Stadt zu streifen? Das tat sie schon seit Jahren. Nein, was sie verwirrte, war die Frage, warum sie irgendwohin gehen und die Zuwendung eines Gönners annehmen sollte. Warum konnte der Spender das Geld nicht in die Klinik bringen? Das war, vorsichtig ausgedrückt, eigenartig.
    »Selbst kann ich nicht gehen«, erklärte Dr. López. »Ich muss vorsichtig sein und meine Klinik und meinen Namen schützen.« Er sah sie an. »Sie müssen das übernehmen, Schwester Julia. Sie werden niemandem auffallen.«
    Schwester Julia begann zu verstehen, was er meinte. Es ging also nicht einfach um die Spende eines Wohltäters. Wenn der Arzt davon sprach, seinen Ruf schützen zu müssen, dann war etwas Unheilvolleres im Gang. Sie war eine Nonne. Niemand würde sie verdächtigen, etwas Geheimes oder Illegales zu tun. Illegal   … Rasch bekreuzigte sie sich und schloss die Augen, um Gott zu suchen. Gott im Himmel, höre meine Stimme. Hilf mir zu tun, was ich tun muss. Amen .
    Was sollte sie tun? Sie konnte sich

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