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Julias Geheimnis

Julias Geheimnis

Titel: Julias Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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weigern. Aber wenn sie ging   … Etwas sagte ihr, dass sie dann vielleicht mehr herausfinden würde, etwas, das sie wissen musste.
    Sie traf den Mann und die Frau unter den Torbögen in der Calle Fernando. Wer wusste, was für dubiose Geschäfte hier getätigt wurden? Die Gegend war voller Schatten, voller Bettler und Diebe.
    Der Mann war überrascht, sie zu sehen. »Wo ist der Priester?«, fragte er.
    Der Priester? Traf er sich sonst mit einem Priester? Schwester Julia wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, daher schwieg sie.
    Der Mann lachte bitter und reichte ihr einen Umschlag. »Zählen Sie es«, sagte er. »Ich möchte mir nicht vorwerfen lassen, dass ich jemanden übervorteile.«
    Schwester Julia zählte zehntausend Peseten. So viel Geld hatte sie noch nie in ihrem Leben gesehen. Wofür in aller Welt mochte dieses Geld sein? Sollte die Klinik vielleicht renoviert werden? Würde Dr. López mehr Personal einstellen? Es musste eine gewisse Summe Geld kosten, eine Klinik wie die des Doktors zu führen; aber Schwester Julia hatte angenommen, die Klinik existiere von wohltätigen Spenden. Siewusste sicher, dass sie Zuwendungen von der Kirche erhielt, das hatte die ehrwürdige Mutter ihr erklärt.
    »In sechs Monaten komme ich wieder«, erklärte der Mann. »Mit der nächsten Rate.«
    Die nächste Rate? Schwester Julia gefror das Blut. »Wie viele Raten insgesamt?«, fragte sie, indem sie all ihren Mut zusammennahm.
    »Dies ist die siebte von zehn, Schwester«, antwortete er und senkte den Kopf.
    Einhunderttausend Peseten also.
    Vielleicht hätte Schwester Julia nicht begriffen, wofür das Geld gezahlt wurde, hätte sie die Frau nicht erkannt. Sie hielt sich halb in den Schatten der Bögen verborgen und hatte den Schal vor das Gesicht gezogen. Doch dann trat sie vor, um zu gehen.
    Schwester Julia hatte sie in der Klinik gesehen. Doch sie war nicht gekommen, um ein Kind zur Welt zu bringen, sondern um eins zu adoptieren.
    Dieser Mann und diese Frau waren also Adoptiveltern. Wenn sie nachdachte, würde sie sich vielleicht sogar an ihren Namen erinnern. Sie hatte sie ja alle aufgeschrieben, oder?
    Einhunderttausend Peseten. So war das also. Lieber Gott im Himmel. Langsam wurde Schwester Julia klar, woran sie sich so lange beteiligt hatte und immer noch beteiligte. Sie hatte recht gehabt, als sie sich gefragt hatte, ob es tatsächlich nur darum ging, schwachen Mitgliedern der Gesellschaft zu helfen und Kindern bessere Chancen im Leben zu ermöglichen. Natürlich war es nicht so gewesen. Wie hatte sie nur so blind sein können, so naiv, so leichtgläubig? Es ging dabei auch um Geld. Und das Geld stammte von den richtigen Familien. Richtig, dachte Schwester Julia, in mehr als einemSinn des Wortes. Diese Art von Korruption hatte sich fast drei Jahrzehnte lang direkt vor ihren Augen abgespielt.
    Als Schwester Julia zurück zur Canales-Klinik eilte, spürte sie das Geld in ihrer Tasche. Es fühlte sich an, als wolle es sich bis auf ihre Haut durchbrennen. Sie konnte es nicht abwarten, es loszuwerden. Blutgeld, dachte sie. Geld, mit dem menschliches Leben gekauft worden war.
    Der Doktor wartete auf sie.
    Sie zog den Umschlag aus ihrer Tasche und hielt ihn ihm hin. Holte tief Luft. Nur Mut, dachte sie. »Wollen Sie mir verraten, Doktor, wofür dieses Geld gezahlt wurde?«, fragte sie.
    »Ah, Schwester.« Rasch nahm er ihr den Umschlag aus der Hand. »Vielleicht ist es das Beste, wenn Sie das nicht wissen.«
    Schwester Julia hielt seinem durchdringenden Blick stand. Sie dachte zurück an jenen ersten Tag, als sie ihm im Krankenhaus vorgestellt worden war, und daran, wie er sie eingeschüchtert hatte. Sie erinnerte sich an all die Fragen, die sie im Lauf der Jahre hatte stellen wollen   – und an die, die sie gestellt hatte. »Vielleicht«, gab sie leise zurück, »weiß ich es bereits.«
    Er runzelte die Stirn und musterte sie von oben bis unten, wie er es seit dem ersten Tag nicht mehr getan hatte. »Gottes Wege sind geheimnisvoll, Schwester«, sagte er. »Und uns steht es nicht zu, sie zu hinterfragen.« Er tat einen Schritt auf sie zu.
    Jetzt stand er so dicht vor ihr, dass sie seinen Atem auf ihrem Gesicht spürte und seinen Geruch wahrnahm   – Wundbenzin und ein schaler Hauch von Alkohol. Er packte ihr Handgelenk, und in dieser Sekunde hatte sie solche Angst, dass siefast zu atmen aufhörte. Aber sie gab nicht nach. Sie würde nicht einlenken. Schwester Julia erwiderte seinen Blick direkt. Nun wusste sie

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