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Julias Geheimnis

Julias Geheimnis

Titel: Julias Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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Wie viele Kinder mochten auf der Suche nach Antworten sein? Wie viele der niños robados würden tatsächlich irgendwann ihre leiblichen Eltern wiedersehen? Sie zuckte die Achseln. »Das hängt davon ab, wie viele von ihnen sich melden.« Davon, wie viele Mütter zugaben, dass sie nie an den Tod ihrer Kinder geglaubt hatten. Und davon, wie viele Adoptiveltern ihren Kindern die Wahrheit sagten, wie Enrique es getan hatte. Einige würden es mit DNS -Tests versuchen, was in vielen Fällen eine lange Suche nach einer Übereinstimmung bedeutete. Aber für andere würde die Antwort in Schwester Julias Namensbuch stehen.
    Der Regen ging urplötzlich und sintflutartig nieder. Es goss, als hätten sich alle Schleusen des Himmels geöffnet.
    Ruby erschrak, und Andrés fluchte. Er zog sie so plötzlich an sich, dass sie erneut erschrak. »Manchmal ist das hier so«, murmelte er in ihr Haar hinein. »Der Regen kommt ganz plötzlich. Es ist sehr dramatisch.«
    Das konnte er laut sagen. »Sollen wir schnell ins Trockene rennen?« Die Regentropfen waren dick. Ruby war bereits bis auf die Haut durchnässt.
    »Wohin denn?« Er lachte.
    Er hatte ja recht. Sie konnten sich nirgendwo unterstellen. Was sollten sie also anfangen? Einfach die Arme ausbreiten und den Regen in Empfang nehmen.
    »Komm hier herüber.« Er zog sie auf die andere Seite derFelsen, wo sie ein wenig geschützter waren, und drückte sie an seine Brust, während er den Rücken dem Wolkenbruch zuwandte.
    Dort hatte sie es warm. Sie spürte seinen Herzschlag und den Stoff seines Leinenhemds, der wie schon einmal rau, aber seltsam tröstlich an der Haut ihres Gesichts lag. Um sie herum jaulte der Wind, das Meer klatschte unten über die Felsen, und der Regen strömte mit Macht aus dem bleigrauen Himmel. Aber Ruby machte sich nichts daraus. Sie lag in seinen Armen und fühlte sich sicher und beschützt. Sie atmete seinen Geruch nach Bernstein und Baumharz ein. Sie fühlte sich so wohl, dass sie ewig hier hätte bleiben können.
    Nach einer Weile ließ der Regen nach, und Andrés lockerte seine Umarmung langsam. Blinzelnd wagte sie sich hervor und lachte. Sein Hemd war triefend nass. Das dunkle Haar klebte ihm am Kopf und in seinem gebräunten Nacken. Auch er blinzelte, um die Regentropfen aus seinen Augen zu vertreiben. Er sah großartig aus   – wie ein wilder Mann, der aus dem Sturm gekommen war. Ruby war nicht kalt, doch sie erschauerte. Ihr wurde klar, dass er das Warten wert war. Dass er es wert war, für ihn zu kämpfen. Sie wünschte sich die Art von Liebe, die sie während ihrer Kindheit selbst mit eigenen Augen gesehen hatte. Und er war der Mann, mit dem sie das erleben wollte.
    »Komm und sieh dir das an«, sagte er und winkte sie zu sich.
    »Wir sollten zurückgehen.« Ruby wollte sich nicht lange aufhalten. Sie wollte sich nicht verabschieden. Sie hasste Abschiede. In mancherlei Hinsicht stand Andrés gerade am Beginn seines Weges. Aber Ruby dachte darüber nach, dass sie das Ende ihrer Reise vielleicht schon erreicht hatte. Siewar hierhergekommen und hatte etwas über Lauras Leben erfahren; näher würde sie ihrer leiblichen Mutter vielleicht niemals kommen, ganz zu schweigen von ihrem Vater. Vielleicht würde sie nie alles herausfinden, was sie wissen wollte. Aber im Lauf der letzten paar Tage war sie zu einer wichtigen Erkenntnis gelang. Sie war dieselbe Ruby, die sie immer gewesen war. In gewisser Weise hatte Mel damals recht gehabt. Ruby Rae ist immer noch Ruby Rae . Und sie würde es immer sein. Sie betastete Viviens goldenes Amulett, das sie immer noch um den Hals trug. Auch die Eltern, die sie großgezogen hatten, waren dieselben liebevollen Menschen, die sie immer gewesen waren   – und sie waren ihre Eltern. Sie konnte ihnen nicht böse sein. Die beiden hatten sie geliebt. Sie hatten für sie gesorgt. Sie hatten ihr gezeigt, worauf es wirklich ankam. Durch sie war sie geworden, was sie heute war. Also war dies gewissermaßen das Ende einer Reise, oder? Aber zugleich begann eine neue.
    Er streckte die Hand aus und half ihr zurück über die Felsen. »Vorsicht, es ist glatt.«
    Das war es.
    »Schau«, sagte er, als sie oben ankamen.
    Sie folgte seinem Blick. Es war unglaublich. Der Sand strahlte geradezu. Die Bucht war von Regen und Flut buchstäblich ausgewaschen worden, blank geputzt. Sie hatte keine Geheimnisse mehr, dachte sie. Die Sonne schien schon wieder, durchbrach die Wolken und ließ die schwarzen Felsen glitzern. Der goldgelbe Sand

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