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Julias Geheimnis

Julias Geheimnis

Titel: Julias Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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Geister begraben. Und ich muss es tun, bevor meine Zeit auf Erden vorüber ist.«
    »Natürlich.« Ruby begriff, dass diese Reise unvermeidlich war. Für gewöhnlich arbeitete sie gern allein, und Schwester Julia war eigentlich zu alt, um noch durch die Weltgeschichte zu jetten   – und noch dazu an Orte, die mit Sicherheit unangenehme Erinnerungen für sie bargen. Aber so konnte sie Ruby auch alle Plätze selbst zeigen und ihr vor Ort noch einmal genau erzählen, wie alles gewesen war. Ihre Geschichte würde dadurch noch lebendiger, noch besser werden. Und es bedeutete Schwester Julia offensichtlich sehr viel. Sie konnte dadurch ihren Frieden mit allem machen. Das war ihr ein großes Bedürfnis. Wie hätte Ruby ihr diesen Wunsch abschlagen können?
    Sie trank ihren Tee aus und stand auf. »Ich melde mich sehr bald bei Ihnen«, erklärte sie.
    Schwester Julia brachte sie noch zum Klostertor. »Vielen, vielen Dank, mein Kind«, sagte sie.
    »Auf Wiedersehen, Schwester.« Rubys Blick folgte dem staubigen Pfad entlang, der über die rote Erde zum Dorf führte, und sie sah, dass sich jemand dem Kloster näherte. Die Person war noch ein ganzes Stück entfernt, aber Ruby konnte erkennen, dass es ein hochgewachsener Mann war. Irgendetwas an diesen langen, schwungvollen Schritten kam ihr bekannt vor. Und auch die Kleidung, die er trug   … Sie konnte den Blick nicht abwenden. Er kam näher. »Andrés?«, hauchte sie.
    Jetzt winkte er und kam im Laufschritt auf Ruby und Schwester Julia zu.
    »Wer ist das, mein Kind?«, murmelte Schwester Julia.
    »Andrés«, sagte sie noch einmal.
    Und dann war er da, und bevor sie wusste, wie ihr geschah, hielt er sie fest umschlungen. Sie fühlte sich in seiner Umarmung wie im Himmel. Er flüsterte ihren Namen. »Ruby, Ruby   …«
    Schwester Julia räusperte sich.
    Andrés ließ sie los.
    »Was machst du denn hier?« Ruby fasste ihn am Arm. »Du hast doch gesagt   …«
    »Ich weiß, was ich gesagt habe.« Er legte einen Arm um ihre Schultern und sah Schwester Julia an. »Ich bin Enrique Maríns Sohn«, erklärte er.
    »Aha.« Sie nickte. »Hat er Sie zu mir geschickt?«
    »Ja.« Andrés drückte Rubys Schultern. »Er hat mich zu Ihnen geschickt.«
    Was ging hier vor? Verwirrt schaute Ruby von einem zum anderen. »Wieso sollte er dich herschicken?« Doch dann sah sie in Andrés’ Augen ein Gefühl, das sie kannte, etwas, das sie ebenfalls empfunden hatte. Ihr fiel ein, was Schwester Julia gesagt hatte. Sie hatte Ruby erzählt, dass sie mit einem Mann aus dem Dorf gesprochen hatte und dass diese Adoptionspraxis sogar hier auf den Kanarischen Inseln im Schwange gewesen war.
    Andrés legte auf seine typische Art die Hand um ihren Hinterkopf und sah ihr in den Augen. »Ich muss einen Blick in Schwester Julias Namensbuch werfen«, erklärte er.

48. Kapitel
    N ach dem Abendessen mit seiner Familie schlenderten Andrés und Ruby zum alten Hafen hinunter. Andrés hatte den Arm um sie gelegt, und er hatte nicht vor, sie so bald wieder loszulassen. Der alte Hafen, dachte er, der Ort, an dem alles begonnen hatte   … Wer hätte gedacht, dass er je wieder hierher zurückkehren würde. Und nun war er hier   – noch dazu an einem Abend wie diesem, einem warmen Spätsommerabend, an dem der Duft nach Krabben und Tapas süß und würzig in der Luft hing, die Sterne hell am nächtlichen Firmament standen und die Mondsichel waagerecht am Himmel über dem glatten, tintenschwarzen Meer hing. Und dass er zusammen mit seinem Mädchen hier war   …
    Die letzten Tage waren emotional aufwühlend gewesen.
    Als Andrés das Kloster an jenem Nachmittag erreicht hatte, hatte es ihn kaum überrascht, Ruby dort zu sehen. Als müsse es so sein. Ruby Rae, die Insel, Schwester Julia und die Geschichte um seine Geburt   – all das war ziemlich unglaublich, aber nach dem, was sein Vater ihm erzählt hatte, konnte ihn nichts mehr schockieren.
    »Dann sollten Sie hereinkommen, mein Sohn«, hatte die alte Nonne gesagt. So war er Schwester Julia und Ruby in die aus hellem Stein errichteten Klostergänge gefolgt, und Schwester Julia war davongegangen, um ihr berühmtes Namensbuch zu holen.
    Ruby hatte nicht viel gesagt, und Andrés war dankbar dafür gewesen, dass er ihr anscheinend nicht alles haarklein zu erklären brauchte. Er hatte sich nicht in ihr geirrt, von Anfang an nicht. »Bist du dir sicher, dass du es sehen willst?«, hatte sie nur geflüstert.
    Er nickte. Ja, er wollte es sehen. Es war auch denkbar,

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