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Julias Geheimnis

Julias Geheimnis

Titel: Julias Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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Felsen, und Ruby sah noch einmal über die Bucht hinaus, die eine perfekte Hufeisenform hatte, bis zu dem rotweißen Leuchtturm in der Ferne und zu Lauras Dalí-Strandhaus, wo Ruby vor ein paar Tagen Trish getroffen hatte und das von einem jungen Deutschen mit einem verrückten Traum erbaut worden war. Die Wolken zogen sich zusammen, und die Bucht lag verlassen da.
    Nur du und ich   … Ruby sah Andrés an. Sie war auf die Insel gekommen, um nach ihrer leiblichen Mutter zu suchen, und hatte unwissentlich die wahre Abstammung des Mannes, in den sie sich verliebt hatte, enthüllt. Denn das hatte sie, oder? Sich verliebt.
    Würde Andrés nun, da er die Wahrheit kannte, versuchen, seine leiblichen Eltern zu finden? Würde er je denselben Sog spüren, den Ruby empfunden hatte? Dieses Bedürfnis, es zu wissen? Mit der Zeit vielleicht. Doch bevor er diese Entscheidung traf, würde er vermutlich zuerst Frieden mit der Familie schließen wollen, die er bereits besaß. Sie vermutete, dass er das Bedürfnis haben würde, ihnen zu vergeben, obwohl er nie vergessen würde, was sie getan hatte. Wenigstens sah es so aus, als würde die Familie sich versöhnen. Außerdem hatten sie es, genau wie Vivien und Tom, nur getan, weil sie sich so sehr ein eigenes Kind wünschten, für das sie sorgen konnten. Ruby hatte den Eindruck, dass sie überglücklich darüber waren, dass Andrés in den Schoß der Familie zurückgekehrt war. Enrique Marín hatte Andrés unrecht getan, kein Zweifel. Er hatte nie eine enge Bindung zu seinem Adoptivsohn entwickelt und ihn unberechtigterweise zurückgewiesen   – sowohl wegen seines künstlerischen Talents, das er unmöglich von ihm geerbt haben konnte, als auch, weil er sich nicht seiner Herrschaft unterworfen hatte, sich nicht von ihm beherrschen ließ wie der Rest der Familie. Doch Enrique ging es nicht gut. Er war nur noch ein Schatten des Mannes, der er einmal gewesen war, und er bereute, was er getan hatte. Als er bei diesem ersten Familienessen das Glas gehoben und mit Tränen der Rührung in den dunklen Augen einen Trinkspruch auf »unseren Sohn« ausgebracht hatte, da waren Ruby fast selbst die Tränen gekommen. Denn sie hatte recht gehabt; schlussendlich ging alles um Liebe, oder?
    War es wirklich so? Es war unmöglich, Andrés’ Miene zu deuten. Seine Stirn war leicht gerunzelt. Am liebsten hätte Ruby die Hand ausgestreckt und wäre mit den Fingerspitzenüber seine schräg stehenden Wangenknochen gefahren, um diese düstere Miene zu glätten, um sanft seinen Mund zu berühren. Aber sie hielt sich zurück. Er sah aufs Meer hinaus, wo der Wind auffrischte und die Flut hereinkam. Die Wogen türmten sich hoch auf, bevor sie brachen und unterhalb von ihnen krachend auf den Felsen brachen. Auf der anderen Seite der Felsen lag die Bucht ruhig da. Aber es fühlte sich an, als warte sie auf etwas.
    Ruby dachte an die Reise nach Barcelona. Sie hatte bereits erste Recherchen durchgeführt. Die Canales-Klinik war noch in Betrieb, wurde inzwischen aber von Dr. López’ Sohn Rafael geleitet. Ruby fragte sich, ob er wusste, was dort früher geschehen war. Dort würde sie anfangen, hatte sie beschlossen.
    Sie hatte keine Ahnung, wohin ihre Nachforschungen sie führen würden. Aber sie würde einige Fragen stellen und hoffentlich auch Antworten bekommen. Der größte Teil ihrer Informationen würde von Schwester Julia selbst kommen. Sie hatte ihrer Redakteurin Leah bereits gemailt und eine positive Antwort erhalten. Klingt gut. Wir nehmen es. Verschaff dir ein Gefühl dafür, wie du die Sache anpacken willst, und nimm wieder Kontakt zu mir auf, wenn du mehr weißt .
    So würde sie es machen. Und dann würde sie den Artikel schreiben. Die ganze Geschichte. Das würde eine Herausforderung werden. Sie würde sensibel und mitfühlend an die Sache herangehen müssen. Denn das Letzte, was sie wollte, war, Schwester Julia zu verletzen. Aber sie würde die Wahrheit schreiben. Sie musste. Und dann   … Sie hörte ein fernes Grollen und blickte zum Himmel auf   – es würde doch wohl nicht an ihrem letzten Tag auf der Insel regnen? Sie wusste nicht genau, was danach passieren würde. Aber SchwesterJulias Namensbuch würde sicherlich für eine Menge Aufregung sorgen.
    Andrés drehte sich zu ihr um. In seinen grünen Augen sah sie einen besorgten Ausdruck. »Glaubst du, dass dein Artikel vielen Menschen helfen wird?«, fragte er.
    Sie wusste, was er meinte; er hatte in dieselbe Richtung gedacht wie sie gerade.

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