Julias Geheimnis
Mandelkringel – und yemas – eine Süßigkeit aus Eigelb und Zucker – her, die sie in der Eingangshalle des Klosters verkauften. Eines Tages war Schwester Julia zum Verkaufsdienst eingeteilt. In die Tür des Haupteingangs war ein Drehtablett eingelassen. Der Kunde betrat das Foyer, drückte auf einen Klingelknopf und sprach die erforderlichen Worte: Ave María purísima – gegrüßt seiest du, Maria, die Allerreinste –, sin pecado concebida – ohne Sünde empfangen. Dann gab er seine Bestellung auf und legte das Geld auf das Tablett. Schwester Julia drehte es, nahm das Geld und legte dafür die Süßigkeiten darauf. Dann drehte sie das Tablett zurück – he aquí , bitte sehr. Der Kunde nahm das Gebäck, und das Geschäft war beendet. Gott wird für uns sorgen , sagte die ehrwürdige Mutter. Es kam Schwester Julia vor, als versorge Er sie ziemlich gut.
Doch sie war einsam. Sie vermisste ihre Familie, ihr Zuhause, ihre persönliche Habe. Sie hatte zwar nicht viel besessen, aber es waren doch einige Dinge darunter gewesen, die einen hohen Wert für sie gehabt hatten: ihre Bücher und ihre wenigen Kleider und Schuhe, ihr Familienfoto, die besonderen Leinentaschentücher, die ihre Großmutter bestickt hatte. Solche Luxusgegenstände waren in Santa Ana nicht erlaubt. Sie fragte sich, wie sie sich jemals an das Leben hier gewöhnen sollte.
In ihrer zweiten Woche nahm eine der anderen Schwestern sie beiseite. »Es ist typisch für die moderne Welt, dass man zuerst an das denkt, was man nicht hat und was verboten ist, statt an das, was man durch das einfache Leben gewinnt und intensiver empfindet«, sagte sie. Und dann senkte sie den Kopf und verließ den Raum.
Schwester Julia dachte darüber nach. Seit sie hier lebte, hatte sie geweint und war zornig gewesen. Warum gerade sie? Wieso hatte man ausgerechnet sie in diese Verbannung geschickt? Warum war ihr jetzt ein Leben bestimmt, das mit sich brachte, dass sie niemals eine eigene Familie haben würde, keinen Mann, den sie lieben, kein Kind, für das sie sorgen konnte? Jetzt würde sie nie erfahren, wie es sich anfühlte, in den Armen eines Mannes zu liegen oder einen Sohn oder eine Tochter zur Welt zu bringen.
Aber was nutzte es, sich dagegen zu wehren? Es war, so wurde ihr klar, alles eine Frage der Perspektive. Und wenn sie Gott dienen wollte, musste sie lernen, das Positive zu sehen. Sie musste lernen, ohne ihre Familie und die Dinge zu leben, die sie an zu Hause erinnerten. Sie musste Disziplin lernen, bevor sie daraus Erfüllung beziehen konnte. Es musste ihr irgendwie gelingen. Vielleicht kam ihre Familie sie dann besuchen.
Nach nur drei Wochen im Kloster wurde Schwester Julia in die Räume der Mutter Oberin gerufen.
Die ehrwürdige Mutter vergeudete keine Worte. »Möchtest du Gottes Werk tun, mein Kind?«
Wahrscheinlich kam es für sie nicht darauf an, warum Schwester Julia ins Kloster eingetreten war, und es spielte auch keine Rolle, dass ihre Familie nicht besonders gläubig war. Man ging eine Verpflichtung ein, und aus irgendeinem Grund ging die ehrwürdige Mutter davon aus, dass man sich voller Überzeugung darauf einließ.
Keuschheit, Armut und Gehorsam … Schwester Julia senkteden Kopf. Sie hätte alles getan, was sie hinaus in die Welt ließ, was ihr erlaubte, etwas Nützliches zu tun, etwas, das sie am Grübeln hindern und ihre Einsamkeit lindern würde. Alles wäre besser als das hier. »Ja, ehrwürdige Mutter.«
Die ehrwürdige Mutter nickte. Der Orden sei zwar ein Klausurorden, und die Klausur werde als angemessenste Voraussetzung für Rückzug und Kontemplation betrachtet, erklärte sie. Dennoch gäbe es auch weltliche Dinge zu tun. Und Schwester Julia hatte bisher nur die einfachen Gelübde abgelegt. »Es ist noch viel zu tun«, sagte die Mutter Oberin. »Es ist gute Arbeit; es geht um den Wiederaufbau unseres Landes und unseres Volks. Wir schicken dich ins Krankenhaus, mein Kind. Es ist Gottes Wille.«
Im Krankenhaus arbeitete Schwester Julia von früh bis spät, denn viele Mitarbeiter waren entlassen worden, und es war so viel zu tun.
Die ehrwürdige Mutter hatte ihr eingeschärft, ihre Meinung für sich zu behalten. Aber die Leute redeten, und eine der Krankenschwestern, die gesprächiger als die meisten war, erzählte ihr mehr darüber, wie es der Kirche während des Bürgerkriegs ergangen war. Schwester Julia wusste schon, dass allein in Barcelona fünfzig Kirchen geplündert worden waren. Die Kathedrale
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