Julias Geheimnis
sagte er.
Dessen war sie sich bewusst. Aber trotzdem …
»Ihr Mann ist für seine Sünden bestraft worden«, setzte er ernst hinzu. »Es steht uns nicht zu, den Grund zu hinterfragen.«
»Aber wenigstens könnten wir ihr helfen …«
»Es gibt nur eine Art, diesen Frauen zu helfen«, erklärte der Arzt. »Sie müssen bereuen.« Er sah ihr tief in die Augen. »Und Sie, Schwester Julia, müssen begreifen, warum Sie hier sind. Sie sind hier, um Gottes Werk zu unterstützen, verstehen Sie.«
An seiner strengen Miene konnte Schwester Julia ablesen, dass für ihn das letzte Wort gesprochen war. Aber war das wirklich Gottes Werk? Würde Gott nicht wollen, dass diese arme Frau erfuhr, ob ihr Mann tot oder lebendig war?
Eine der anderen Frauen – sie war unverheiratet, wie Julia erfuhr – brachte eine Stunde später ihr Kind zur Welt. Schwester Julia war im Kreißsaal bei ihr und kümmerte sich um sie, während der Arzt und eine Hebamme das Kind und dann die Plazenta entbanden. Die Beine der Frau lagen noch in den Stützen, und sie warf sich hin und her.
»Sie ist eine primipara «, erklärte Dr. López Schwester Julia, während er nähte. »Das heißt, das ist ihr erstes Kind. Die Geburt ist in diesem Fall oft nicht einfach.«
Sie sah, dass er einen langen Schnitt angelegt hatte, damit der Damm nicht riss.
Doch die Frau schien noch immer starke Schmerzen zu haben. »Mein Gott, mein Gott«, jammerte sie.
Schwester Julia versuchte, sie zu beruhigen. »Jetzt ist ja alles vorüber«, sagte sie. »Ihr Kind ist da und wohlauf.«
Der Arzt warf ihr einen warnenden Blick zu. »Sie hat bereut«, sagte er, »und die richtige Entscheidung getroffen. Sie wird ihren Sohn nicht behalten. Wir müssen ihn ihr wegnehmen.«
Aber die Frau drückte ihr Kind an die Brust.
Dr. López war kein großer Mann, schien aber mit einem Mal so viel größer zu sein als die Frau. Er ergriff das Kind und nahm es energisch an sich. »Wir müssen ihn jetzt untersuchen. Unverzüglich.« Er ignorierte ihre Schreie und strebte mit großen Schritten aus dem Raum. Das Kind nahm er mit.
Die Frau weinte und streckte die Hände aus. Sie griff ins Leere. Schwester Julia tröstete sie, so gut sie konnte, doch es brach ihr das Herz.
Sie wollte das Krankenhaus gerade verlassen und nach Santa Ana zurückkehren, als Dr. López sie aufhielt. »Ich sehe, dass Sie unsere Arbeit noch nicht richtig verstehen, Schwester«, sagte er.
Schwester Julia senkte den Kopf. Sie versuchte es, sie versuchte es wirklich.
»Ein Kind wegzugeben«, erklärte er, »ist manchmal ein notwendiger Teil der Buße. Denn was für eine Zukunft haben diese Frauen sonst? Und wie wird die Zukunft dieser Kinder aussehen?« Er sprach voller Leidenschaft, und seine dunklen Augen leuchteten.
Es stimmte, ledige Mütter waren gebrandmarkt. Sie waren vom Pfad der Tugend abgekommen, und alle wussten es.Schwester Julia wusste es auch. Und die Kinder … Für sie würde es schwer werden, das begriff sie.
»Wie kann eine solche Frau für ein Kind sorgen?«, wollte er wissen. »Wie soll das möglich sein?«
Schwester Julia wusste es nicht. Wahrscheinlich hatte sie nicht richtig darüber nachgedacht.
»Diese Frauen haben kein Geld und keine Möglichkeit, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, jedenfalls nicht auf rechtschaffene Art.«
Er warf ihr einen vielsagenden Blick zu, und Schwester Julia erschauerte. Er sagte praktisch, dass eine Mutter, die ihr Kind behielt, in die Prostitution gedrängt würde, nur um es ernähren zu können. Und das konnte nicht richtig sein.
»Wovon soll dieses Kind leben, Schwester Julia? Wie soll es überleben? Können wir die Verantwortung für das Leben dieses Kindes übernehmen?«
Der Arzt machte ihr irgendwie ein schlechtes Gewissen, weil sie vorher anders gedacht hatte. Er schien eine gewisse Macht zu besitzen, obwohl sie nicht hätte sagen können, worin sie bestand.
Sie senkte den Kopf. Die Wahrheit war, dass sie keine Antworten auf diese Fragen wusste. Diese Angelegenheit war zu komplex für ein Mädchen, das gerade achtzehn geworden war. Bestimmt wusste der Arzt, was das Beste war. Schließlich hatte die ehrwürdige Mutter ihr erklärt, dass er ein guter und weiser Mann sei, dem sie in allem Gehorsam leisten solle. Obwohl sie versuchte, den Kopf immer gebeugt zu halten, konnte Schwester Julia es manchmal nicht vermeiden, ihm in die Augen zu sehen. Dann spürte sie seine Kraft, die Energie, die er ausstrahlte. Es würde ihr wirklich
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