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Julias Geheimnis

Julias Geheimnis

Titel: Julias Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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war allerdings verschont geblieben. Nun erfuhr sie, dass General Franco der Kirche ihre Reichtümer, ihre Macht und ihre Privilegien zurückgegeben hatte. Vielleicht sollte sie nicht zuhören. Bestimmt war Neugier eine Sünde. Doch Schwester Julia musste feststellen, dass alte Gewohnheiten schwer auszurotten waren.
    »Sehr freundlich von dem General, meinen Sie nicht, Schwester?«, hatte die junge Krankenschwester gefragt. »Sehr lobenswert, oder?«
    »In der Tat.« Schwester Julia hätte gern mehr gesagt, weitere Fragen gestellt. Aber diese Zeiten waren vorüber. Ihre Stellung in der Welt war jetzt eine andere.
    Die Krankenschwester lachte, doch es klang nicht amüsiert. »Und was, frage ich mich, verlangt er dafür?« Sie stemmte die Hände in die Hüften und zog fragend eine Augenbraue hoch.
    Schwester Julia wusste, worauf sie hinauswollte; dass Francos Großzügigkeit mit einer unausgesprochenen Bedingung verknüpft gewesen war. Und möglicherweise hatte sie recht.
    »Den Gehorsam Ihrer Kirche vielleicht?«
    Dass die Kirche dem Staat in allem untertan sein sollte? Äußerlich blieb Schwester Julia ruhig, doch innerlich zitterte sie vor Angst.
    »Aber das wissen Sie natürlich alles«, meinte die Krankenschwester. »Als Nonne.«
    Schwester Julia sagte nichts, sondern drehte sich um und wandte sich wieder ihren Pflichten zu.
    Vielleicht hatte jemand gesehen, wie sie sich unterhalten hatten; sie wusste es nicht. Aber sie sah diese Krankenschwester nie wieder. Es war, als hätte sie sich in Luft aufgelöst.
    Im Kloster verblüffte die ehrwürdige Mutter sie weiter, indem sie ihr von einigen der Gräueltaten der Republikaner während des Krieges erzählte. Sie erzählte von Nonnen, die vergewaltigt und gezwungen worden waren, die Perlen ihres eigenen Rosenkranzes zu schlucken, und von Priestern, die man kastriert hatte oder gezwungen hatte, ihre eigenen Gräber auszuheben. »Es sind unaussprechliche Dinge geschehen, mein Kind«, erklärte die ehrwürdige Mutter, die es offensichtlich aber trotzdem für nötig hielt, mit Schwester Julia darüber zu reden. Warum nur?
    In der Woche darauf wurde Schwester Julia in die gynäkologische Abteilung des Krankenhauses versetzt und musste auf der Entbindungsstation arbeiten. Die Betten waren schmal und standen auf beiden Seiten des langen Krankensaals eng zusammen. Bezogen waren sie mit weißen Laken und kratzigen braunen Decken. Immerhin gab es einen beweglichen Wandschirm, um den Frauen etwas Privatsphäre zu ermöglichen. So wie auf der Station, auf der sie früher gearbeitet hatte, roch es auch hier überall nach Desinfektionsmittel. Aber das konnte sie aushalten. Das war immer noch angenehmer als der Geruch von Krankheit, Blut und Tod. An dem einen Ende des Flurs befanden sich der Küchenbereich und das Schwesternzimmer, am anderen Ende der Fäkalienraum.
    Eine Krankenschwester mittleren Alters, die eine gestärkte weiße Uniform trug, führte sie herum.
    »Das ist Dr. López, unser Gynäkologe«, erklärte sie, als sie sich einem kleinen, aber sehr von sich eingenommen wirkenden Mann mit dunklem Haar näherten. Er trug einen weißen Kittel und hatte ein Stethoskop um den Hals hängen. »Doktor, das ist Schwester Julia.«
    Der Arzt nickte ihr kurz zu. Doch als Julia ihn ansah, durchlief sie ein leiser Schauer. Er war nur etwa fünf Jahre älter als Schwester Julia selbst, und doch wirkte er so viel reifer. Seine Augen waren kalt, aber sein Blick war hypnotisch. Es war, als würde sie in seine Augen hineingezogen wie ein kleines Tier oder ein Vogel in eine Falle.
    »Wir haben Sie erwartet, Schwester«, sagte er. »Wir haben eine wichtige Aufgabe für Sie.«
    Oje   … Schwester Julia versuchte nicht so erschrocken auszusehen, wie sie sich fühlte. War sie schon bereit für eine wichtige Aufgabe? Sie glaubte es nicht.
    »Sie sollen bei der Betreuung der gefallenen Mädchen helfen«, erklärte er. »Als Tochter Christi ist das Ihre Pflicht.«
    »Ja, Doktor«, murmelte Schwester Julia. Gefallene Mädchen. Wie sollte sie, eine kleine Novizin, die keine Erfahrung mit so etwas hatte, sich um die gefallenen Frauen kümmern?
    »Sie haben den falschen Weg eingeschlagen«, sagte Dr. López betrübt und schüttelte den Kopf. »Wir müssen ihnen helfen, Buße zu tun.«
    Während er sie weiter über ihre Pflichten aufklärte, wurde Schwester Julia langsam klar, was ihre Rolle sein würde. Sie sollte den jungen Frauen moralische Unterstützung und Trost spenden, und   – noch wichtiger

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