Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Julias Geheimnis

Julias Geheimnis

Titel: Julias Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
Vom Netzwerk:
Frances’ freundliche Augen, ihr herzliches Lächeln und ihre inzwischen grau, weiß und pfefferbraun gesprenkelten offenen Locken ließen viele Bilder aus der Erinnerung auftauchen. Nicht von der Beerdigung, sondern von früher. Ruby spürte eine solche Welle von Emotionen, dass sie die Tränen wegblinzeln musste, als Frances sie auf die Wange küsste. Für sie war Frances eng mit ihrer Mutter verbunden. Vor ihrem inneren Auge sah sie die beiden zusammen mit Bechern voller Instantkaffee in der Hand am Küchentisch ihrer Kindheit sitzen, wenn sie aus der Schule kam. Sie sah Frances, wie sie die Füße auf der Couch hochlegte, während Vivien ihre Bügelwäsche wegarbeitete. Ernste Gespräche, ein wenig Klatsch, viel Gelächter.
    »Wie geht’s dir?« Frances setzte sich. »Und wie kommst du mit allem zurecht? Ich habe viel an dich gedacht.«
    Wo sollte sie anfangen. »Das Haus steht jetzt zum Verkauf«, berichtete Ruby. »Ich habe mich nach einer anderen Wohnung umgesehen, bis jetzt aber kein Glück gehabt.« Sie dachte an die Auktion. Und die Frechheit dieses Kerls   …Nicht nur gegen sie zu steigern, sondern auch noch die Unverschämtheit zu haben und sie nachher anzumachen   – falls er das getan hatte. Gott. Ruby war so wütend gewesen, dass sie ihm beim Wegfahren beinahe eins mit der Handtasche übergezogen hätte, wenn das Rad da nicht so gefährlich gewackelt hätte.
    »Wer sind Sie?«, hatte sie ihn gefragt. »Und woher kennen Sie meinen Namen?« Wer war er   – so eine Art Stalker?
    »Ich habe Sie im Jazz-Café spielen gesehen«, erklärte er. »Und ich wusste nicht, dass ich da drinnen gegen jemanden biete, den ich kenne.«
    Was sollte das jetzt wieder heißen? Er konnte sie nicht kennen, und sie kannte ihn ganz sicher nicht. Sie runzelte die Stirn.
    »Von dem ich gehört habe«, setzte er hinzu. »Den ich um drei Ecken herum kenne?« Inzwischen wirkte er ein wenig verzweifelt. »Schon öfter gesehen habe?«
    »Nein, haben Sie nicht«, versetzte sie knapp. Sie fand das nicht komisch. »Sie kennen mich nicht, und ich kenne Sie nicht.« Sie stieß sich ab, was nicht ganz einfach war, und betete, dass sie nicht umfallen würde. »Ende der Debatte.« So, jetzt wusste er Bescheid.
    »Dann bist du momentan in Dorset?«, fragte Frances sie.
    »Ja.« Ruby zuckte die Achseln. »Jedenfalls eine Zeit lang.« Einstweilen bewegten sie sich noch auf sicherem Boden. Wie lange würde es dauern, bis sie aufhörten, um den heißen Brei herumzureden, und endlich zum Wesentlichen kamen?
    Frances schien ihre Gedanken zu erraten. »Sollen wir erst bestellen und dann reden?«, schlug sie vor.
    Ruby nickte. In gewisser Weise war Frances jetzt ihre nächste Angehörige. Die Großeltern in Schottland, die siekaum kannte und die sie bei der Beerdigung so gut wie nicht beachtet hatten, zählten im Grunde nicht. Frances dagegen war eine Konstante ihrer Kindheit gewesen. Ruby musste sich erst noch an die neue, an die wahre Bedeutung des Wortes »Einzelkind« gewöhnen. Es war niemand sonst mehr da. Sie unterdrückte einen Seufzer. Sogar ihre Erinnerungen liefen Gefahr, an diesem Abend einen nicht wiedergutzumachenden Schaden zu erleiden.
    Sie wählte die frische, heimische Scholle mit Salat und neuen Kartöffelchen; Frances entschied sich für Wolfsbarsch, Gemüse und Pommes frites. Sie beschlossen, sich eine Flasche Soave zu teilen.
    »Am besten erzählst du mir alles, was du weißt, Liebes«, sagte Frances. »Und dann fülle ich die Lücken aus, so gut ich kann.«
    Ruby holte tief Luft, und alles brach aus ihr heraus. Die Fotos in der Schuhschachtel, das Babymützchen und die Hippie-Perlen, das Gitarrenplektrum. Der Brief des Arztes, die Unfruchtbarkeit ihrer Eltern, das Fehlen früher Babyfotos im Album und der Umstand, dass sie keinem von ihnen im Geringsten ähnlich sah. Und das »wie ein Blitz aus heiterem Himmel« ihrer verwirrten Großmutter.
    Frances nickte. »Ich verstehe.«
    Inzwischen war das Essen serviert worden, aber keine von ihnen aß viel. Ruby schob ihren Fisch auf dem Teller herum; so machte sie wenigstens irgendetwas damit. Frances sah ernst aus. Immer wieder glitt ihr Blick ins Leere, als sehe sie ihre Freundin Vivien vor sich, wie sie den Kopf nach hinten warf und auf ihre typische Art lachte oder stirnrunzelnd einen Schritt zurücktrat, um eines ihrer Aquarelle zu betrachten.
    »Und dann habe ich mir meine Geburtsurkunde richtig angesehen«, erklärte Ruby.
    »Aha.« Frances nickte. Bildete Ruby sich das

Weitere Kostenlose Bücher