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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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auf Stand und Rang weichen soll, stets nur mit Unglück und Verbrechen abgekauft wird.
    Obwohl der Winter näher rückt und ich nach Rom muß, will ich doch den Freund, den ich unter meiner Hut habe, nicht eher verlassen, als bis ich sein Gemüth wieder so befestigt sehe, daß sich darauf bauen läßt. Es ist ein Pfand, das mir theuer ist sowohl seines Werthes wegen, als weil es mir von Ihnen anvertraut worden. Wenn ich es nicht dahin bringen kann, daß er glücklich werde, so will ich es wenigstens dahin zu bringen suchen, daß er vernünftig werde und menschliches Unglück menschlich trage. Ich habe beschlossen, hier vierzehn Tage bei ihm zu bleiben; ich hoffe, daß wir in der Zwischenzeit Nachricht von Julien und von Ihnen erhalten, und daß Sie beide helfen werden, lindernden Balsam in die Wunden dieses kranken Herzens träufeln, welches der Vernunft noch nicht anders als durch Vermittlung des Gefühls zugänglich ist.
    Ich schließe einen Brief für Ihre Freundin ein; vertrauen Sie ihn, bitte, keinem Dritten an, sondern geben Sie ihn ihr selbst.
Bruchstücke
    dem vorigen Briefe beigeschlossen.
1
    Warum habe ich Sie nicht vor meiner Abreise noch einmal sehen dürfen? Sie haben gefürchtet, daß ich beim Scheiden meinen Geist aushauche! Erbarmendes Herz, beruhigen Sie sich. Ich bin recht wohl.... mir fehlt nichts .... ich lebe noch .... ich denke an Sie .... denke an die Zeit, da ich Ihnen theuer war .... mir ist dasHerz etwas beklommen .... der Wagen betäubt mich .... ich fühle mich matt .... Ich werde Ihnen heute nicht viel schreiben können. Morgen vielleicht werde ich mehr Kraft haben .... oder keine mehr brauchen ....
2.
    Wohin zerren mich diese Pferde mit solcher Hast? Wohin führt mich dieser Mann, der sich meinen Freund nennt, mit so vielem Eifer? Weit hinweg von dir, Julie? .... Auf dein Geheiß? .... Dahin, wo du nicht bist? .... Ha! Unsinnige! .... Ich messe mit den Augen den Weg, welchen ich so schnell durchfliege. Woher? Wohin? Warum so im Sturm? Ihr Grausamen, kann ich euch nicht schnell genug in meinen Tod rennen? O Freundschaft! Liebe! Ist das euer Einklang? Sind das euere Wohlthaten? ....
3.
    Hast du wohl dein Herz befragt, als du mich so gewaltsam hinwegstießest? Konntest du, sage, konntest du verzichten .... auf ewig .... Nein, nein; dieses zärtliche Herz liebt mich, ich weiß es wohl. Dem Schicksal zum Trotze, sich selbst zum Trotze wird es mich lieben bis ans Grab .... Ich sehe wohl, du hast dich Eingebungen überlassen ….
[Der Verfolg zeigt, daß er Milord Eduard in Verdacht hat, daß aber Clara diese Stelle auf sich bezieht.]
O, wie du dir ewige Reue bereitest! .... Ach es wird zu spät sein. Wie? Vergessen könntest du .... Wie? ich sollte dich schlecht gekannt haben? .... Ach, denke an dich, denke an mich, denke an .... Höre; noch ist es Zeit …. Du hast mich barbarisch ausgetrieben. Ich enteile schneller als der Wind .... Sprich ein Wort, ein einziges Wort, und ich kehre zurück, schneller als der Blitz. Sprich ein Wort, und wir sind auf ewig vereinigt; wir müssen es sein .... werden es sein .... Oh, oh! die Luft rafft meine Klagen dahin! und ich auf der Flucht! Werde leben und sterben fern von ihr .... Leben fern von ihr! ....
     
Dritter Brief.
Milord Eduard an Julie.
    Ihre Cousine wird Ihnen Nachrichten von Ihrem Freunde geben. Ich glaube übrigens auch, daß er durch die ordinäre Post an Sie schreibt. Stellen Sie fürs Erste Ihre Ungeduld in dieser Beziehung zufrieden, um danach diesen meinen Brief mit aller Besonnenheit zu lesen, denn ich sage Ihnen im Voraus, daß sein Inhalt Ihre volle Aufmerksamkeit erfordert.
    Ich kenne die Menschen: ich habe in wenig Jahren viel gelebt; ich habe große Erfahrung theuer erworben, und der Weg der Leidenschaften ist es, der mich zur Philosophie geführt hat. Aber unter Allem, was ich bisher beobachten konnte, ist mir nichts so Außerordentliches vorgekommen als Sie und Ihr Liebhaber. Nicht, daß einer von euch beiden einen hervorstechenden Charakter hätte, dessen Eigenthümlichkeit man auf den ersten Blick erkennt; ein oberflächlicher Beobachter würde euch vielleicht, in seiner Verlegenheit, euch zu definiren, für gewöhnliche Seelen halten. Aber das ist gerade das Ausgezeichnete an euch, daß man nichts an euch auszeichnen kann, und daß die Züge des allgemeinen Modells, von denen stets einer und der andere jedem Individuum fehlt, in den eurigen insgesammt und gleichmäßig ausgeprägt sind. So hat jeder Abdruck eines Kupferstichs

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