Julie oder Die neue Heloise
welcher sie geschaffen hat; sie ruht auf dem unerschütterlichen Grunde des Verdienstes und der Tugend; sie kann nimmer vergehen in einer unsterblichen Seele; sie braucht die Stütze der Hoffnung nicht mehr und nimmt aus der Vergangenheit Kraft genug für eine ewige Zukunft.
Aber du, Julie, du, die du einst lieben konntest, wie hat es dein zärtliches Herz verlernt, zu leben? Wie hat das heilige Feuer erlöschen können in deiner Seele? Wie hat sich deine Lust an jenen himmlischen Freuden, die nur du allein zu fühlen und zu spenden fähig bist, verlieren können? Du jagst mich ohne Erbarmen weg, du schickst mich in schmähliche Verbannung, giebst mich meiner Verzweiflung preis; und siehst nicht, siehst nicht in dem Wahne, der dich verwirrt, daß du, indem du mich elend machst, dir das Glück deines Lebens raubst! Ach, Julie, glaube nur, du wirst vergebens ein zweites Herz dem deinigen befreundet suchen: tausend ohne Zweifel werden dich anbeten, lieben konnte dich nur meines allein.
Jetzt steh mir Rede, betrogene oder trügliche Geliebte, was ist geworden aus den Plänen, die du so geheim hieltst? wo sind sie hin, die eitelen Hoffnungen, mit denen du so oft meine leichtgläubige Einfalt kirrtest? Wo ist die geheiligte, die heißersehnte Verbindung, das süße Ziel so vieler heißen Seufzer, und womit deine Feder und dein Mund meinen Wünschen schmeichelte? Ach, ach; im Vertrauen auf deine Versprechungen war ich so kühn, den heiligen Namen Gattin auszusprechen, und dünkte mich schon den glücklichsten der Menschen. Sprich, Grausame, äfftest du mich nur deshalb so, damit mein Schmerz zuletzt desto heftiger und meine Demüthigung desto tiefer würde? Wodurch habe ich mein Unglück verschuldet? Habe ich es an Gehorsam, an Willfährigkeit, an Bescheidenheit fehlen lassen? Sahst du mich etwa so schwächlich begehren, daß ich den Laufpaß verdiente, oder sahst du mich etwa meine stürmischen Begierden über deinen gebietenden Willen stellen? Ich that Alles nur dir zu gefallen, und du verlässest mich! Du nahmst mein Glück in deine Hut, und du hast mich ins Verderben gestoßen! Gieb Rechenschaft, Undankbare, von dem Pfande, das ich dir vertraut habe; Rechenschaft von meinem Ich, nachdem du mein Herz irregeführt mit dieser Seligkeit über alle Seligkeit, die du mir gezeigt hast und dann raubst. Euch, ihr Engel des Himmels, hätt' ich um eure Luft nicht beneidet, ich wäre das glücklichste aller Geschöpfe gewesen .... O weh, und ich bin nichts mehr, ein Augenblick hat mir Alles genommen. Ich bin ohne Uebergang von dem Gipfel der Freude in ewiges Elend versunken: noch berühre ich das Glück, das mir entflieht …. berühre es noch und fort ist es auf ewig! .... Ach wenn ich glauben dürfte, wenn die Ueberreste einer eiteln Hoffnung ….O ihr Felsen von Meillerie, die mein wirres Auge so oft maß, warum habt ihr nicht meiner Verzweiflung gedient? Ich hätte an dem Leben weniger verloren, hätte ich weniger seinen Werth empfunden gehabt.
Zweiter Brief.
Milord Eduard an Clara.
Wir sind soeben in Besançon angekommen und ich lasse es meine erste Sorge sein, Ihnen Bericht über unsere Reise zu geben. Sie ist, wenn auch nicht in aller Ruhe, doch wenigstens ohne Unfall abgelaufen und Ihr Freund befindet sich leiblich so wohl, als man es bei einem so kranken Herzen sein kann; er giebt sich sogar Mühe, äußerlich eine Art Ruhe zur Schau zu tragen. Er schämt sich seines Zustandes und thut sich vor mir große Gewalt an; Alles aber verräth seine innere Aufregung, und wenn ich mich so stelle, als merkte ich nichts davon, so thue ich das, damit ich ihn nicht hindere, sich selbst hindurchzukämpfen, und daß es einem Theile seiner Seelenkräfte überlassen bleibe, die Wirkung der anderen zu brechen.
Er war den ersten Tag sehr gedrückt; ich kürzte die Tagereise ab, da ich sah, daß die Geschwindigkeit unserer Fahrt seinen Schmerz stachelte. Er sprach kein Wort mit mir, noch ich mit ihm; zudringliches Trösten kann schwere Trübsal nur verbittern. Gleichgültigkeit und Kälte finden leicht Worte, aber die wahre Sprache der Freundschaft in solchem Falle ist Traurigkeit und Schweigen. Ich bemerkte gestern die ersten Funken der Wuth, welche einer solchen Abspannung immer zu folgen pflegt. In unserem Mittagsquartiere waren wir kaum seit einer Viertelstunde angekommen, als er sich ungeduldig zu mir wendete. Warum machen wir nicht fort? sagte er mit bitterem Lächeln; warum bleiben wir ihr einen Augenblick so nahe? Am Abend
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