Julie oder Die neue Heloise
meine Liebe und deine Macht. Ach, Julie! flößest du Gefühle ein, die vergänglich sind? und wenn ich dir nichts versprochen hätte, könnte ich denn je aufhören dein zu sein? Nein! Nein! Mit
dem ersten Blick deiner Augen, mit dem ersten Wort aus deinem Munde, mit dem ersten Aufwallen meines Herzens entzündete sich in ihm diese ewige Flamme, die nichts auslöschen kann. Hätte ich dich nur diesen einen Augenblick gesehen, so war es doch vorbei, war schon zu spät, dich je wieder vergessen zu können. Und ich sollte dich jetzt vergessen! jetzt da, berauscht von meinem vergangenem Glücke, der bloße Gedanke daran hinreicht, es mir von neuem zu schenken, jetzt, da ich erdrückt von der Last deiner Reize nur in ihnen noch athme! jetzt, meine vorige Seele vergangen ist und mich die belebt, die ich von dir habe! jetzt, Julie, da ich mir selbst zum Ekel bin, daß ich dir so schlecht ausdrücke, was ich fühle! Ha! möge alle Schönheit der Welt mich zu verführen suchen, giebt es in meinen Augen eine andere, als die deine? Möge Alles sich verschwören, diese meinem Herzen zu entwenden, möge man es durchbohren, möge man es zerreißen, möge man diesen treuen Spiegel Juliens zertrümmern, ihr reines Bild wird nicht aufhören, noch in dem letzten Splitter zu glänzen; nichts ist fähig, es daraus zu tilgen. Nein, die höchste Macht selbst würde nicht so viel vermögen; sie kann meine Seele vernichten, aber nicht machen, daß sie sei und dich nicht mehr anbete.
Milord Eduard hat es übernommen, dir bei seiner Durchreise über das, was mich betrifft, und über seine Pläne zu Gunsten meiner Bericht zu geben; aber ich fürchte, daß er sich in Bezug auf seine gegenwärtigen Verfügungen seines Versprechens nicht vollständig entledigen wird. Vernimm, daß er sich untersteht, das Recht, welches ihm seine Wohlthaten über mich geben, so zu mißbrauchen, daß er sie über alle Gebühr hinaus ausdehnt. Ich sehe mich durch eine Pension, die, wenn es nach ihm ginge, unwiderruflich gemacht worden wäre, in Stand gesetzt, eine Rolle weit über meine Geburt zu spielen, und in London werde ich das auch vielleicht gezwungen sein zu thun, um mich seinen Absichten zu fügen. Für den hießigen Aufenthalt, wo mich kein Geschäft bindet, werde ich fortfahren, nach meiner Weise zu leben, und werde nicht in Versuchung kommen, den Ueberfluß meines Unterhalts in nichtigen ausgaben zu vergeuden. Du hast mich gelehrt, meine Julie, daß die ersten Bedürfnisse, oder wenigstens die fühlbarsten die eines wohlthätigen Herzens sind: und welcher rechtschaffene Mensch hätte Ueberflüssiges, so lange es noch einem menschen am Nothdürftigsten fehlt?
Vierzehnter Brief.
An Julie.
[Ohne daß ich dem Urtheile des Lesers und Juliens über diese Berichte vorgreifen will, glaube ich sagen zu dürfen, daß ich sie, wenn ich sie zu machen hätte, wenn auch nicht besser, wenigstens ganz anders machen würde. Ich bin mehrmals auf dem Punkte gewesen, sie wegzulassen und andere von meiner Feder an ihre Stelle zu setzen; ich lasse sie nun aber doch und bin stolz auf diese Kühnheit. Ich sage mir, daß ein Jüngling von vier und zwanzig Jahren, der eben in die Welt tritt, diese nicht so ansehen kann wie ein Mann von Funfzigen, der sie nur zu sehr aus Erfahrung kennt. Ich sage mir ferner, daß ich, obwohl ich in ihr keine sehr große Rolle gespielt habe, doch nicht mehr in dem Falle bin, unparteiisch über sie sprechen zu können. Mögen daher diese Briefe bleiben wie sie sind, mit allen ihren Gemeinplätzen, mit allen ihren trivialen Beobachtungen; das alles ist kein großes Uebel, aber das ist dem Freunde der Wahrheit wichtig, daß bis an sein Lebensende seine Schriften nicht durch seine Leidenschaften besudelt werden.]
Ich trete mit einem inneren Grauen in diese weite Wüste, die man Welt heißt. Dieses Chaos zeigt mir nichts als eine schauerliche Einöde, wo düsteres Schweigen herrscht. Meine eingeengte Seele sucht sich auszubreiten und findet sich von allen Seiten zurückgedämmt. Nie bin ich weniger allein, als wenn ich allein bin, sagte ein Alter
[Scipio Africanus, S. Cie. de offic. III. 1. D. Ueb.]
: auch ich, ich bin nur allein unter der Menge, wo ich weder dir noch den Andern angehören kann. Mein Herz möchte sprechen; es fühlt, daß es nicht gehört wird; es würde gern antworten, man sagt ihm nichts, das bis zu ihm dränge. Ich verstehe die Sprache hier zu Lande nicht, und Niemand versteht die meine.
Nicht, daß man mich nicht sehr
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