Julie oder Die neue Heloise
Effect zu nichte macht; 8) die schlechte Harmonie in den Compositionen u. s. w.“ D. Ueb.]
nachtappen. Sie fühlen sich einen Augenblick angenehm erregt von dieser rhythmischen Bewegung, für die sie so wenig Sinn haben und martern ihr Ohr, ihre Stimme, ihre Arme, ihre Füße, den ganzen Leib, um dem Takte
[Ich finde, daß man die leichten Melodien in der französischen Musik nicht übel mit dem Galopp einer Kuh oder den Fliegeversuchen einer fetten Gans verglichen hat.]
nachzukommen, der ihnen immer wieder entwischt; während der Deutsche und der Italiener, denen er in der Seele liegt, ihn fühlen und, ohne Anstrengung folgend, niemals nöthig haben, ihn zu schlagen. Wenigstens hat mir Regianino oft gesagt, daß bei der Oper in Italien, wo doch der Rhythmus so hervortretend und lebendig ist, sich nie, weder im Orchester noch unter den Zuschauern, auch nur ein Glied rührt, um den Takt zu marlieren. Hier zu Lande jedoch verräth Alles die Härte des musikalischen Organs; die Stimmen sind rauh und unmelodisch, die Biegung scharf und gewaltsam, die Töne angestrengt und schleppend; in den Melodien ist kein Fluß, keine Declamation; die Regiments-Musik, die Pfeifer bei der Infanterie, die Cavalerietrompeter, alle Hornisten, alle Hauptboisten, die Sänger auf den Straßen, die Dorfmusikanten, alle spielen und singen so falsch, daß man nicht alle Talente dan nämlichen Menschen verliehen, und denFranzosen scheint die musikalische Fähigkeit am wenigsten unter allen europäischen Völkern zugefallen zu sein. Milord Eduard behauptet, daß auch die Engländer wenig davon haben; der Unterschied ist aber, daß diese es wissen und sich aus der Musik nichts machen, wogegen die Franzosen lieber tausend gerechte Ansprüche aufgeben und sich das Verdammungsurtheil über jede andere Sache gefallen lassen würden, ehe sie eingestehen, daß sie nicht die ersten Musiker der Welt sind, Es giebt sogar Leute, die gern die Pariser Musik als eine Staatsangelegenheit betrachten möchten, vielleicht, weil es in Sparta eine war, der Lyra des Timotheus zwei Saiten abzuschneiden; dagegen, fühlen Sie wohl, läßt sich nichts einwenden. Wie dem nun sei, die Pariser Oper möge immerhin eine herrliche politische Institution sein, den Leuten von Geschmack wird sie deshalb nicht besser gefallen. Doch zurück zu meiner Beschreibung.
Ich habe noch von den Ballets zu sprechen. Diese sind die brillanteste Partie der Oper, und wenn man sie für sich allein nimmt, bilden sie ein angenehmes, prachtvolles und wahrhaft theatralisches Schauspiel; nun aber geben sie einen wesentlichen Bestandtheil des Stückes ab, und unter diesem Gesichtspunkte sind sie zu betrachten, Sie kennen die Quinaultschen Opern; Sie wissen, wie die Divertissements in denselben angebracht sind. Bei seinen Nachfolgern ist es ungefähr ebenso oder noch schlimmer. In jedem Akte wird die Handlung im Augenblicke der größten Spannung durch ein Fest unterbrochen, welches den Schauspielern, die sich dazu niedersetzen, gegeben und vom Parterre stehend angesehen wird
[Vergl. über das „Divertissement“ die Anmerkung zum 5. Theil der „Bekenntnisse“ S. 44. D. Ueb.]
. Dabei geschieht es denn, daß man die Personen des Stücks gänzlich vergißt, oder daß die Zuschauer die Schauspieler ansehen, die wieder etwas Anderes ansehen. Die Art diese Feste herbeizuführen, ist einfach; wenn der Prinz vergnügt ist, so nimmt man Theil an seiner Freude und tanzt; wenn er betrübt ist, so will man ihn aufheitern, und tanzt. Ich weiß nicht, ob es an den Höfen so Mode ist, daß man den Königen geschwind einen Ball giebt, wenn sie übler Laune sind; ich weiß nur in Bezug auf die Theaterprinzen, daß man die stoische Ruhe nicht genug bewundern kann, mit welcher sie einer Gavotte zusehen oder ein Chanson anhören, während vielleichtüber ihre Krone oder über ihr Leben hinter den Coulissen entschieden wird. Es giebt aber auch noch viele andere Anlässe zum Tanz; die wichtigsten und ernstesten Actionen des Lebens geschehen tanzend, Priester tanzen, Soldaten tanzen, Götter tanzen, Teufel tanzen. Es wird getanzt und sollte es noch bei dem Begräbnisse sein, kurz Alles wird von Allen betanzt.
Der Tanz ist also die vierte der schönen Künste, welche zur Herstellung der lyrischen Bühne verwendet werden: die drei anderen haben ihr Wesen in der Nachahmung; aber diese, was ahmt sie nach? Nichts. Der Tanz ist also ein Hors-d'Oeuvre, wenn er eben nur als Tanz angewendet wird; denn was haben Menuetten
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