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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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entdecken und uns in jedem Sinne von den Lastern entfernt zu halten, die es hervorgebracht haben.
    Ich war Ihnen bei der kritischen Lage, in der Sie sich zu befinden scheinen, alle Offenheit der Freundschaft schuldig, damit nicht ein zweiter Schritt aus der Bahn des ungeregelten Lebens, ehe Sie Zeit gewinnen, sich selbst wieder zu finden, Sie so weit reiße, daß keine Umkehr mehr möglich ist. Nun aber kann ich Ihnen nicht verbergen, mein Freund, wie sehr mich Ihr schleuniges und aufrichtiges Bekenntniß gerührt hat, denn ich fühle, wie schwer Ihnen das beschämende Geständniß geworden ist, und daran wieder, wie die Scham über Ihren Fehltritt Ihr Herz belastete. Eine unfreiwillige Verirrung vergiebt und vergißt sich leicht. Für die Zukunft behalten Sie folgenden Grundsatz im Sinne, von dem ich nicht abgehen werde: Wer sich in einem Falle dieser Art zweimal verirren kann, hat sich auch das erste Mal nicht verirrt.
    Adieu, mein Freund: wache sorgfältig über deine Gesundheit, ich beschwöre dich, und denke daran, daß keine Spur übrig bleiben darf von einem Vergehen, das ich verziehen habe.
    N. S. Ich habe eben in den Händen des Herrn von Orbe Abschriften von mehren Ihrer Briefe an Milord Eduard gesehen, die mich nöthigen, von meinem Tadel über den Inhalt und die Form Ihrer Briefe einen Theil zurückzunehmen. Diese Briefe behandeln, muß ich gestehen, wichtige Gegenstände und scheinen mir voll von ernsten und einsichtigen Bemerkungen. Aber dafür ist nun wieder klar, daß Sie uns sehr geringschätzen, meine Cousine und mich, oder daß Sie sich aus unserer Achtung recht wenig machen, da Sie uns nur Berichte schicken, die so sehr geeignet sind sie zu schwächen, während Sie für Ihren Freund weit bessere abfassen. Sie gönnen damit, scheint mir, Ihrem Unterricht wenig Ehre, wenn Sie Ihre Schülerinnen unwerth achten, Ihre Leistungen zu bewundern, und Sie sollten wenigstens aus Eitelkeit so thun, als ob Sie uns für fähig hielten, Sie zu verstehen.
    Ich gebe zu, daß die Politik nicht zum Ressort der Frauen gehört, und mein Onkel hat uns so damit gelangweilt, daß ich wohl begreife, wie Sie Scheu tragen konnten, es ebenfalls zu thun. Es ist auch, offen gesagt, nicht das Studium, dem ich den Vorzug geben würde: ihr Nutzen liegt mir zu fern, als daß sie mir sehr zu Herzen gehen sollte, und ihre Erleuchtung ist zu hoch, um mir lebhaft in's Auge zu fallen. Da ich genöthigt bin, die Regierungsform zu lieben, unter welcher ich geboren bin, so kümmere ich mich wenig darum, ob es bessere giebt. Was würde es mir frommen, sie zu kennen, da ich es so wenig in meiner Macht habe, ihnen Eingang zu verschaffen? Und warum sollte ich mir das Herz damit beschweren, so große Uebel zu betrachten, gegen die ich nichts vermag, solange ich andere um mich her sehe, die ich vermögend bin zu lindern? Aber ich liebe Sie, und den Antheil, den ich an den Gegenständen nicht nehme, nehme ich doch an dem Verfasser, der sie behandelt. Ich sammle mir mit zärtlicher Bewunderung alleProben Ihres Talentes ein, und stolz auf ein Verdienst, das meines Herzens so würdig ist, verlange ich von der Liebe nur so viel Geist als nöthig ist, den Ihrigen zu empfinden. Versagen Sie mir also die Freude nicht, alles Gute, was Sie schaffen, zu kennen und zu lieben. Wollen Sie mir die Demüthigung bereiten, daß ich glauben muß, wenn der Himmel uns vereinigte, so würden Sie Ihre Lebensgefährtin nicht würdig achten, mit Ihnen zu denken?
     
Achtundzwanzigster Brief.
Von Julie.
    Alles ist verloren, Alles ist entdeckt! Ich finde deine Briefe nicht mehr an dem Orte, wo ich sie verborgen hatte. Sie waren gestern Abend noch da. Sie können erst heute weggenommen sein. Nur meine Mutter kann sie aufgespürt haben. Wenn mein Vater sie sieht, so ist es um mein Leben gethan! O, und was würde es helfen, daß er sie nicht sieht, wenn ich verzichten muß, ....? Ach! Mein Gott! Mutter läßt mich rufen. Wohin fliehe ich? Wie soll ich ihren Blick aushalten? Warum kann ich mich nicht im Grunde der Erde verbergen! .... Ich zittere am ganzen Leibe, ich bin außer Stande, einen Schritt zu thun .... Die Schande, die Demüthigung, die siedend heißen Vorwürfe .... ich habe Alles verdient, ich werde Alles hinnehmen. Aber der Schmerz, die Thränen einer jammernden Mutter .... O mein Herz, wie reißt es! …. Sie erwartet mich, ich kann nicht länger zögern .... Sie wird wissen wollen .... ich könnte ja .... Wie? Lügen? .... Meine Mutter belügen? Ach! wenn wir

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