Julie oder Die neue Heloise
glücklich und zufrieden, wenn es sein kann. Machet ihr Drei allein mein ganzes Dasein aus, und euer Glück lasse mich mein Elend und meine Verzweiflung vergessen.
Sechzehnter Brief.
Antwort.
Wir leben wieder auf, meine Julie, alle wahren Empfindungen unserer Seelen nehmen wieder ihren Lauf. Die Natur hat uns das Dasein erhalten und die Liebe giebt uns das Leben wieder. Hast du daran gezweifelt? Warst du kühn genug zu glauben, daß du mir dein Herz entziehen könntest? Geh, ich kenne es besser als du, dieses Herz, das der Himmel für das meinige geschaffen hat. Ich fühle sie verbunden zu einer Einheit des Daseins, die ihnen nur durch den Tod verloren gehen kann. Steht es in unserer Macht, sie zu trennen oder auch nur es zu wollen? Hängen sie aneinander durch Bande von Menschenhand geschlungen und durch Menschenhand zerreißbar? Nein, Julie, nein, wenn das grausame Schicksal uns den süßen Gattennamen verweigert, den Namen treuer Liebender kann nichts uns rauben; er wird der Trost unserer trübseligen Tage sein und wir werden ihn mit in's Grab nehmen.
So fangen wir wieder an zu leben, um wieder zu leiden, und das Gefühl unseres Daseins ist für uns nur ein Schmerzensgefühl. Wir Unglücklichen, was ist aus uns geworden? Wie haben wir aufhören können das zu sein, was wir waren? Wo ist jener Seligkeitszauber? Wo ist die hohe Begeisterung, mit der alle Tugenden unsere Glut nährten? Nichts ist von uns übrig geblieben als unsere Liebe; die Liebe allein bleibt und ihre Reize sind verflogen. Allzu unterwürfige Tochter, Liebende ohne Muth, sieh, alle unsere Leiden stammen aus unsern Irrthümern. Ach! ein weniger reines Herz würde dich weniger irregeführt haben! Ja, die Lauterkeit deines Herzens ist es, die uns zu Grunde richtet; die Rechtschaffenheit, die es ganz erfüllt, hat alle Klugheit daraus vertrieben. Du denkst dir, die Kindeszärtlichkeit mit der unzähmbaren Liebe zu versöhnen; indem du dich allen deinen Neigungen zugleich hinziehst, verwirrst du sie, anstatt sie in Einklang zu bringen und wirst aus Tugend strafbar. O Julie, was für eine unbegreifliche Herrschaft übst du! Durch wie wunderbare Macht bezauberst du meine Vernunft! Selbst indem du mich erröthen machst über unsere Liebe, machst du zugleich, daß man dich um deine Fehltritte schätzen muß; du zwingst mich, dich zu bewundern, indem ich deine Gewissensbisse mitfühle .... Gewissensbisse! …. Du, du konntest bestimmt sein, Gewissensbisse zu fühlen? .... Du, die ich liebe .... du, die ich anzubeten nicht aufhören kann .... deinem Herzen hätte das Verbrechen nahen können? .... Grausame! du giebst mir dieses Herz wieder, das mir gehört, gieb es mir so wieder, wie es mir geschenkt wurde!
Was hast du mir gesagt? .... was wagst du mir anzudeuten? .... Du, in die Arme eines Andern! .... Ein Anderer dich besitzen!.... Nicht mehr mein sein! oder, o Entsetzlichstes von Allem, nicht mein allein! Ich, ich sollte diese schauderhafte Marter dulden! .... sollte dich dich selbst überleben sehen! .... Nein! lieber dich verlieren als dich theilen .... Warum gab mir der Himmel nicht einen Muth dem Zornfeuer gleich, das mich durchlodert! .... Ehe sich deine Hand herabgewürdigt hätte in diesem von der Liebe verworfenen, von der Ehre verdammten Bündniß, würde ich mit der meinigen einen Dolch in deinen Busen stoßen; ich würde dein keusches Herz zwingen, all sein Blut auszugießen, ehe die Untreue es befleckt hätte. Mit diesem reinen Blute würde ich das mischen, welches durch meine Adern flammt in unauslöschlicher Glut; ich würde in deine Arme sinken; ich würde auf deine Lippen meinen letzten Seufzer drücken .... den deinigen empfangen .... Julie sterbend! .... diese sanften, lieben Augen brechend im grausigen Tode! dieser Busen, dieser Thron der Liebe, aufgerissen von meiner Hand, in großen Tropfen hinträufelnd Blut und Leben! .... Nein! lebe und leide, trage dieStrafe meiner Feigheit. Nein, ich wollte, du wärest nicht mehr, aber ich kann dich nicht so lieben, um dich zu erstechen.
O, kenntest du den Zustand dieses von Angst zusammengeschnürten Herzens! nie brannte es von so heiligem Feuer, nie waren ihm deine Unschuld und deine Tugend theurer. Ich habe lieb, und daß ich lieb haben kann, das fühle ich; aber ich bin nur ein Mensch und es geht über Menschenkraft, dem höchsten Glück zu entsagen. Eine Nacht, eine einzige Nacht hat auf immer meine ganze Seele verwandelt. Nimm diese gefährliche Erinnerung hinweg, und ich bin
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