Julie oder Die neue Heloise
vergönnt wäre, glücklich zu sein, so hätten wir es mit einander sein müssen.
Unsere Gefühle waren uns gemein; sie würden mich irre gemacht haben, wenn ich sie allein gespürt hätte. Die Liebe, welche ich kennen gelernt habe, kann uur aus einem Passen für einander und aus Seelenübereinstimmung entstehen. Man liebt nicht, wenn man nicht geliebt wird, wenigstens nicht lange. Die unerwiederten Leidenschaften, durch welche, wie man sagt, so Viele unglücklich werden, gründen sich nur auf die Sinnlichkeit; wenn manche bis in die Seele eindringen, so geschieht es durch falsche Zusammenhänge, und man muß sich bald enttäuscht finden. Die sinnliche Liebe kann des Besitzes nicht entrathen, und erlöscht, wenn er erlangt ist. Die wahre Liebe kann des Herzens nicht entrathen, und dauert so lange als die Herzensbezüge, aus denen sie entstanden ist
[Wenn diese Bezüge eingebildete sind, so dauert sie so lange, als die Täuschung, welche uns dieselben vorspiegelt]
. So war die unsrige anfangs; so wird sie, hoffe ich, bis an unser Lebensende bleiben, sobald wir sie besser geregelt haben werden. Ich sah, ich fühlte, daß ich geliebt wurde, und daß es so sein mußte: der Mund war stumm, der Blick war befangen, aber das Herz machte sich verständlich. Wir erfuhren bald zwischen uns jenes unbeschreibliche Etwas, welches das Stillschweigen beredt macht, welches niedergeschlagenen Augen Sprache verleiht, welches eine kühne Schüchternheit zu Wege bringt, welches in der Furcht die Wünsche verräth und Alles sagt, was es nicht auszudrücken wagt.
Ich fühlte mein Herz und hielt mich bei Ihrem ersten Worte für verloren. Ich merkte den Zwang, den Sie sich auflegten; ich billigte dies achtungsvolle Benehmen und gewann Sie deshalb nur noch lieber. Ich suchte Sie für Ihr peinliches und unerläßliches Schweigen zu entschädigen, ohne daß es meiner Unschuld etwas kostete; ich that meinem natürlichen Wesen Gewalt an, ahmte meiner Cousine nach, lachte und tollte wie sie, um zu ernsthaften Erklärungen zuvorzukommen und tausend kleine Liebkosungen unter dem Schutze dieser verstellten Lustigkeit durchzubringen. Ich wollte Ihnen Ihr gegenwärtiges Verhältniß so angenehm machen, daß die Furcht vor einer Veränderung desselben Ihre Zurückhaltung noch vermehren sollte. Alles dies gerieth mir schlecht; man geht nicht ungestraft aus seinem Wesen heraus. Ich Unsinnige! ich beschleunigte mein Verderben, anstatt ihm vorzubeugen, ich wendete Gift als Schutzmittel an, und was Sie zum Schweigen nöthigen sollte, war grade das, was Sie zum Reden brachte. Vergeblich, daß ich durch eine angenommene Kälte Sie unter vier Augen in Entfernung zu halten suchte; gerade der Zwang, den ich mir anthat, verrieth mich, Sie schrieben; anstatt Ihren ersten Brief ins Feuer zu werfen oder ihn meiner Mutter zu geben, unterstand ich mich ihn zu öffnen: dies warmein Verbrechen, alles Uebrige folgte mit Nothwendigkeit daraus. Ich wollte mich enthalten, diese verderblichen Briefe zu beantworten, die ich mich nicht enthalten konnte zu lesen. Dieser gräßliche Kampf griff meine Gesundheit an: ich sah den Abgrund, in den ich mich zu stürzen im Begriff war; mir graute vor mir selbst, und ich konnte mich nicht entschließen, Sie abreisen zu lassen. Ich verfiel in eine Art Verzweiflung; ich hätte lieber gemocht, daß Sie nicht mehr wären, als daß Sie nicht mein sein sollten: ich ging soweit, Ihren Tod zu wünschen, ja, ihn von Ihnen zu fordern. Der Himmel hat mein Herz gesehen: dieser schwere Kampf muß ein Paar Fehltritte wohl abkaufen.
Als ich Sie bereit sah, mir zu gehorchen, mußte ich sprechen. Ich hatte von der Chaillot Aufschlüsse erhalten, denen infolge ich die Gefahr eines solchen Geständnisses noch deutlicher einsah. Die Liebe, die es mir ablockte, lehrte mich den Wirkungen desselben ausweichen. Sie waren meine letzte Zuflucht; ich hatte Vertrauen genug zu Ihnen, um Sie selbst gegen meine Schwachheit zu bewehren, ich hielt Sie für würdig mich zu retten, und ich habe nicht zu viel von Ihnen erwartet. Als ich Sie ein so theures Pfand in Ehren halten sah, erkannte ich, daß meine Leidenschaft mich nicht verblendet hatte über die Tugenden, die sie mich in Ihnen gewahren ließ. Ich gab mich mit um so größerer Zuversicht hin, als es mir schien, daß unsere Herzen sich einander genug wären. Sicher, in dem meinigen nur ehrbare Gefühle zu finden, genoß ich ohne Vorsicht die Annehmlichkeiten eines süßen Umganges. Ach, ich sah nicht, daß
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