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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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tugendhaft. Aber diese verhängnißvolle Nacht herrscht in der Tiefe meiner Seele und wird mit ihrem Dunkel den Rest meines Lebens bedecken. Ach Julie, Angebetete, wenn wir auf ewig elend sein müssen, noch eine Stunde Glück und dann ewige Trauer!
    Höre Den, der dich liebt. Warum wollten wir allein vernünftiger sein als alle übrigen Menschen und mit Kindereinfalt chimärischen Tugenden nachjagen, von denen alle Welt spricht und die Niemand übt? Wie? Sollen wir bessere Moralisten sein als diese Massen von Philosophen, von denen London und Paris voll ist, die sich alle über die eheliche Treue lustig machen und den Ehebruch als einen Spaß betrachten? Die Beispiele davon werden nicht anstößig gefunden; nein, es ist sogar nicht einmal erlaubt, etwas dawider zu haben, und alle ordentlichen Leute würden hier Den auslachen, der aus Respect für die Ehe den Hang seines Herzens bekämpfte. Ist nicht ein Unrecht, sagen sie, das nur von der Meinung zum Unrecht gestempelt ist, in der That keines, wenn es geheim bleibt? Was für Schaden hat der Mann von einer Untreue, die er nicht erfährt? Mit wie viel Aufmerksamkeit und Gefälligkeit macht nicht eine Frau ihre Fehltritte wett
[Wo hat er das gesehen, der gute Schweizer? Schon lange stimmen die galanten Frauen ihren Ton höher. Sie fangen an, ihre Liebhaber stolz in's Haus einzulogiren, und wenn man den Mann noch darin duldet, so ist dabei vorausgesetzt, daß er sich gegen dieselben mit der Achtung betrage, die er ihnen schuldig ist, Eine Frau, die sich mit einem schlechten Umgang verstecken wollte, würde glauben machen, daß sie sich der Sache schäme, und das wäre eine Schande für sie, keine honnette Frau würde mehr mit ihr umgehen.]
? Wie liebreich behandelt sie ihn, um seinen Verdacht abzuwenden, oder zubeschwichtigen? Eines eingebildeten Gutes beraubt, lebt er in Wirklichkeit glücklicher, und das vorgebliche Verbrechen, von welchem so viel Geschrei gemacht wird, ist nur ein Band mehr in der Gesellschaft.
    Gott verhüte, geliebte Freundin meines Herzens, daß ich mit so schändlichen Grundsätzen das deinige einschläfern wollte! ich verabscheue sie, ohne daß ich sie bekämpfen könnte, und mein Gewissen antwortet besser darauf als mein Verstand. Nicht daß ich mich mit einem Muthe brüsten wollte, den ich nicht besitze, oder daß ich eine Tugend möchte, die soviel kostet; aber ich komme mir weniger strafbar vor, wenn ich mir meine Fehler vorwerfe, als wenn ich Anstrengungen mache, sie zu rechtfertigen, und ich sehe es als das höchste Maß des Verbrechens an, dieses der Gewissensbisse entledigen zu wollen.
    Ich weiß nicht, was ich schreibe; ich fühle meine Seele in einem schrecklichen Zustande, schlimmer noch als ehe ich deinen Brief erhalten hatte. Die Hoffnung, die du mir giebst, ist traurig und düster, sie löscht jene lautre Klarheit aus, die uns so oft geleitet hat; deine Reize verblassen und werden nur noch rührender; ich sehe dich zärtlich und unglücklich; mein Herz ist von den Thränen überschwemmt, die aus deinen Augen strömen und ich mache mir ein Glück zu bitterem Vorwurf, das ich nicht anders mehr als auf Kosten des deinigen genießen kann.
    Und doch fühle ich, daß ein verborgenes Feuer mich noch beseelt und mir den Muth wiedergiebt, den mir die Gewissensbisse rauben wollen. Theure Freundin, ach, weißt du denn wohl, für wie viele Verluste eine solche Liebe wie die meinige dich entschädigen kann? Weißt du, bis zu welchem Grade ein Liebhaber, der nur für dich athmet, dir das Leben lieb machen kann? Begreifst du es recht, wie ich nur für dich allein leben, handeln, denken, fühlen will? Nein, köstlicher Quell meines Seins, ich werde keine Seele mehr haben als deine, ich werde nichts mehr sein als ein Theil von deinem Ich, und du wirst im Grunde meines Herzens ein so süßes Dasein finden, daß du nicht fühlen sollst, was das deinige an Reizen verloren hat. Wohlan! wir werden strafbar sein, aber böse werden wir nicht sein; wir werden strafbar sein, aber wir werden die Tugend doch lieb behalten: weit entfernt, unsere Fehler keck zu entschuldigen, werden wir sie mit einander beseufzen und beweinen; wir werden sie, wo möglich, wieder gut machen, indem wir wohlthätig und gut sind. Julie, Julie! was wolltest du thun? was kannst du thun? Du kannst meinem Herzen nicht entrinnen; hat es sich nicht dem deinigen vermählt?
    Jene eiteln Pläne auf Fortkommen in der Welt, die mich so grob getrogen haben, sind längst vergessen. Ich will es

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