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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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werden.
    Als der erste Ungestüm nachließ, nahm mich Frau v. Wolmar bei der Hand, und sich zu ihrem Manne wendend, sagte sie zu ihm mit einer Unschuld und lauteren Anmuth, wovon ich mich durchdrungenfühlte: Obgleich er mein alter Freund ist, stelle nicht ich ihn Ihnen vor, ich empfange ihn von Ihnen, und nur wenn ihn Ihre Freundschaft beehrt, wird er in Zukunft die meinige besitzen. — Wenn neuen Freunden die Wärme alter fehlt, sagte er, mich umarmend, so werden doch auch sie einmal alte werden und jenen nichts nachgeben. Ich ließ mich umarmen, aber ich ließ es nur, mein Herz war erschöpft.
    Nach diesem kurzen Auftritt bemerkte ich, von der Seite schielend, daß man meinen Koffer abgeschnallt hatte, und meine Chaise in die Remise schob. Julie nahm mich unter den Arm, und ich ging mit ihnen dem Hause zu, fast erdrückt von Freude, als ich sah, daß man Besitz von mir nahm.
    Nun erst, da ich mit mehr Ruhe dieses angebetete Gesicht betrachtete, welches ich entstellt zu finden geglaubt hatte, sah ich mit einer bitter und süß gemischten Ueberraschung, daß es wirklich schöner und strahlender war denn je. Ihre reizenden Züge haben sich noch vollkommner ausgebildet; sie hat etwas mehr Fülle, wodurch ihre blendende Weiße gewonnen hat. Die Pocken haben auf ihren Wangen nur einige leichte, fast unmerkliche Spuren hinterlassen. Statt jener schmachtenden Verschämtheit, in welcher sie sonst unaufhörlich die Augen niederschlug, sieht man das Selbstgefühl der Tugend sich in ihrem züchtigen Blick mit Sanftmuth und Empfindung galten; ihre Haltung, ohne weniger sittsam zu sein, ist weniger schüchtern; ein sicheres Wesen und eine freie Anmuth sind an die Stelle jener mehr befangenen, aus Zärtlichkeit und Scham gemischten Manieren getreten, und wenn sie in dem Gefühl ihres Fehltrittes damals etwas Rührenderes hatte, so giebt ihr das Gefühl ihrer Reinheit jetzt etwas Himmlischeres.
    Kaum waren wir in dem Salon, als sie verschwand und einen Augenblick darauf wieder erschien. Sie kam nicht allein. Was meinen Sie, daß sie mitbrachte? Milord, ihre Kinder! Ihre beiden Kinder, schön wie der Tag und schon auf ihren kindlichen Gesichtern die Anmuth und den Liebreiz ihrer Mutter tragend. Wie ward mir bei diesem Anblick! Das läßt sich nicht sagen, nicht fassen: man muß es fühlen. Tausend streitende Gefühle standen zugleich in mir auf: tausend schmerzliche und selige Erinnerungen theilten sich in mein Herz. O Anblick, o Trauer, ich fühlte mich zerrissen von Schmerz und entzückt von Freude. Ich sah Die, welche mir so theuer war, gleichsam vervielfältigt. Ach! ich sah in demselben Augenblicke den zu lebendigen Beweis, daß sie mir nichts mehr war, und meine Verluste schienen sich mit ihr zu vervielfältigen.
    Sie führte sie mir zu. Da, sagte sie zu mir, mit einem Tone, der mir durch die Seele drang, das sind die Kinder Ihrer Freundin; sie werden einst Ihre Freunde sein: seien Sie von heute an der ihrige. Sogleich drängten sich die beiden kleinen Geschöpfe an mich, faßten mich bei den Händen, und wandelten durch ihre unschuldigen Liebkosungen alle meine Gefühle in Rührung. Ich nahm sie beide in meine Arme und, sie an mein bewegtes Herz pressend, sagte ich mit einem Seufzer: Theure, liebenswürdige Kinder, ihr habt eine große Aufgabe zu erfüllen. Möchtet ihr denen ähnlich werden, von denen ihr das Leben habt! Möchtet ihr ihre Tugenden nachahmen, und eines Tages durch die eurigen der Trost ihrer unglücklichen Freunde werden! Entzückt fiel mir Frau von Wolmar zum zweiten Male um den Hals, und schien mir die Liebe, mit der ich ihre beiden Söhne herzte, mit ihren Liebkosungen vergelten zu wollen. Aber welcher Unterschied zwischen der ersten Umarmung und dieser! Ich empfand es mit Erstaunen. Es war eine Mutter, die ich umarmte; ich sah sie umringt von ihrem Gatten und ihren Kindern; diese Umgebung flößte mir Ehrfurcht ein. Ich fand auf ihrem Gesichte einen Ausdruck von Würde, der mir bis dahin noch nicht aufgefallen war; ich fühlte mich gedrungen, ihr eine neue Art Achtung entgegenzubringen; ihre Traulichkeit war mir fast eine Last; so schön sie mir schien, würde ich mit freudigerem Herzen den Saum ihres Kleides, als ihre Wange geküßt haben: kurz, von Augenblick an erkannte ich, daß sie oder ich verändert sein mußte, und ich begann, mir in allem Ernste Gutes von mir vorherzusagen.
    Herr von Wolmar nahm mich darauf bei der Hand, und führte mich in die für mich bestimmte Wohnung. Dies ist Ihr Zimmer,

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