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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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günstiges Zeichen, daß du ihn genauer beobachtet hast, als ich es mir eingebildet hätte; aber findest du nicht, daß seine langen Leiden und das stete Gefühl derselben seinem Gesichte einen noch interessanteren Ausdruck gegeben haben, als es ehemals hatte? Trotzdem, was du mir über ihn schriebst, fürchtete ich jene manierirte Höflichkeit, jenes äffische Wesen an ihm zu finden, das man sich in Paris sonst unfehlbar zuzieht, wobei man unter all den Nichtigkeiten, mit denen man dort seinen müßigen Tag ausfüllt, dahin kommt, daß man auf diese oder jene äußerliche Form den größten Werth lege. Sei es, daß dieser Firniß auf gewissen Seelen nicht haftet, sei es, daß die Seeluft ihn gänzlich hinweggenommen hat, ich habe nicht die mindeste Spur davon bemerkt, und in aller Zuvorkommenheit, welche er gegen mich zeigte, habe ich nichts entdecken können, als den Wunsch sein Herz zu befriedigen. Er sprach mit mir von meinem armen Manne, aber er wollte lieber mit mir um ihn weinen, als mich trösten, und hat mir nichts von galanten Maximen bei dieser Gelegenheit aufgetischt. Er tändelte mit meiner Tochter, aber, anstatt in meine Bewunderung des Kindes einzustimmen, hielt er mir, wie du, dessen Fehler vor, und machte mir den Vorwurf, daß ich es verzöge. Er nahm sich meiner Geschäfte eifrig an, und fast in nichts war er meiner Meinung. Zudem hätte mich die Zugluft blind und taub machen können, es wäre ihm nicht eingefallen, hinzugehen und ein Fenster zu schließen; ich hätte mich von Zimmer in Zimmer müde laufen können, nicht sein Rockschoß, unter den er galanter Weise seine Hand gesteckt hatte, hätte sich gerührt, mir behülflich zu sein. Mein Fächer blieb gestern wohl eine gute Sekunde auf der Erde liegen, ohne daß er vom andern Ende des Zimmers herbeistürzte, als ob er ihn aus den Flammen retten müßte. Morgens, ehe er mich besuchte, hat er nicht ein einziges Mal geschickt, um sich nach meinem Befinden erkundigen zu lassen. Auf der Promenade quält er sich nicht, seinen Hut festgenagelt auf dem Kopf zu behalten, um zu zeigen, daß er sich auf Lebensart versteht
[In Paris bildet man sich besonders viel darauf ein, daß man den Umgang bequem und angenehm zu machen wisse, und diese Bequemlichkeit besteht in nichts Anderem, als in einer Menge Regeln von gleicher Wichtigkeit. wie die obige. Brauch und Gesetz ist Alles in der guten Gesellschaft. Die Bräuche entstellen und vergehen wie der Blitz, Die Lebensart beruht darauf, daß man immer auf der Lauer liegt, um diese Bräuche in ihrem Fluge zu erhaschen, sie zur Schau zu tragen, und auf diese Art zu beweisen, daß man weiß, was an der Tagesordnung ist: Alles der Simplicität wegen.]
. Bei Tische habe ich ihn oft um seine Dose gebeten, die er nicht seine Tabatiere nennt; jedesmal hat er sie mir mit der Hand gereicht, nie auf einem Teller; er verfehlte nicht, wenigstens zwei Mal während der Mahlzeit, auf meine Gesundheit zu trinken, und ich wette darauf, wenn er bei uns bliebe, so würden wir ihn mit uns am Feuer sitzen und sich wärmen sehen, wie einen alten Spießbürger. Du lachst, Cousine, aber zeige mir doch einen von unsern jungen Leuten, der frisch aus Paris kommt, und so ein gemüthliches Wesen behalten hat. Uebrigens mußt du, wie es scheint, unseren Philosophen in einem einzigen Punkte verschlimmert finden, nämlich darin, daß er sich etwas mehr mit den Leuten beschäftigt, die mit ihm reden, was nicht geschehen kann, ohne daß du dabei zu kurz kämst; aber es geht, dünkt mich, doch nicht so weit, daß es ihn mit der Madame Belon wieder gut Freund machen würde. Ich für mein Theil finde ihn darin besser, daß er gesetzter und ernsthafter ist, als je. Mein Püppchen, hebe ihn mir gut auf, bis ich komme; er ist gerade wie ich ihn brauche, um ihn zu meinem Vergnügen den lieben Tag lang verrückt zu machen.
    Bewundere meine Mäßigung; ich habe dir noch kein Wort von dem Geschenke gesagt, das ich dir schicke, und das dir bald ein zweites verheißt: aber du hast es erhalten, ehe du meinen Brief geöffnet hattest, und du, die du weißt, wie vernarrt ich in das Ding bin, und wie viel Ursache ich habe, so vernarrt zu sein, du, deren Habgier sich so viel Noth um dieses Geschenk machte, wirst gestehen müssen, daß ich mehr halte, als ich versprochen habe. Ach, die arme Kleine! In dem Augenblicke, in welchem du dieses liesest, ist sie schon in deinen Armen; sie ist glücklicher als ihre Mutter; aber in zwei Monaten werde ich glücklicher sein

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