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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Culturmethode hierbei von merklicherem Einfluß ist, als bei dem Getreidebau, so ist es zugleich ein ökonomischer Grund, welcher die Familie bewogen hat, dem Aufenthalte in Clarens den Vorzug zu geben. Indessen gehen sie fast jedes Jahr zur Ernte auf ihr Ackergut und Herr v. Wolmar allein ist ziemlich oft dort. Sie haben den Grundsatz, dem Boden den größtmöglichen Ertrag abzugewinnen, nicht um größeren Gewinnes halber, sondern um mehr Leuten Nahrung zu geben. Herr v. Wolmar ist der Meinung, daß das Land desto mehr ausgiebt, je mehr Arme zu seiner Bebauung thätig sind; besser bestellt, trägt es mehr; dieses Mehr der Production macht wieder eine noch bessere Bestellung möglich; je mehr Menschen und Vieh man darauf verwendet, desto mehr Ueberschuß giebt es zu deren Erhaltung. Man weiß gar nicht, sagt er, wo diese immerwährende wechselseitige Steigerung des Ertrages und der Bearbeitung ihre Grenzen findet. Ein vernachlässigter Boden verliert dagegen seine Fruchtbarkeit; je weniger Menschen ein Land erzeugt, desto weniger Lebensmittel bringt es hervor; der Mangel an Bewohnern ist Schuld daran, daß die wenigen, welche da sind, sich nicht ernähren können, und in jeder Gegend, welche sich entvölkert, muß man früher oder später Hungers sterben.
    Da sie also viel Land haben und es mit vieler Sorgfalt bestellen, so brauchen sie, außer den Hofknechten, eine Menge von Tagelöhnern, und dies verschafft ihnen das Vergnügen, daß sie, ohne daß es ihnen lästig fiele, vielen Leuten zu leben geben können. Bei der Wahl ihrer Tagelöhner ziehen sie stets den Einheimischen und Den aus der Nachbarschaft dem Fremden und Unbekannten vor. Wenn man auf diese Weise Einiges dadurch verliert, daß man nicht immer die Kräftigsten nimmt, so gewinnt man auf der andern Seite durch die Zuneigung, deren man sich bei Denen, die man als Ortskinder vorzieht, versehen kann, und durch den Vortheil, daß man sie stets um sich hat, und, obgleich man sie nur einen Theil des Jahres bezahlt, doch jederzeit sicher haben kann.
    Für alle diese Arbeiter ist ein doppelter Lohnsatz eingeführt, der eine nach Gebühr und Landesbrauch, der ihnen jedenfalls für ihre Arbeit ausgezahlt wird, der andere etwas höher, den man ihnen nur zahlt nach Verhältniß der Zufriedenheit, welche sie sich erworben haben; und es ergiebt sich fast immer, daß das, was sie thun, um sich größere Zufriedenheit zu erwerben, mehr ausmacht, als was sie mehr erhalten! denn Herr v. Wolmar ist streng und genau, und läßt Das, was er als Gunst und Geschenk eingeführt hat, nie in Gewohnheit ausarten. Den Tagelöhnern sind Aufseher gesetzt, welche sie antreiben und unter Augen haben. Als solche dienen die Hofknechte, die selbst arbeiten, und außer dem Lohne, den sie erhalten, bei der Arbeit der Uebrigen mit einem kleinen Procent von allem unter ihrer Mühwaltung sich ergebenden Gewinne betheiligt sind. Außerdem besucht Herr v. Wolmar selbst die Leute fast täglich, oft mehrmals des Tages, und seine Frau nimmt gern an diesen Gängen Theil. Endlich giebt Julie in den Zeiten, wo viel Arbeit ist, alle Wochen demjenigen Arbeiter, gleichviel ob Tagelöhner oder Knecht, welcher nach Ausspruch des Herrn während der acht Tage am fleißigsten gewesen ist, eine besondere Vergütung von zwanzig Batzen. Alle diese Mittel, Wetteifer zu wecken, welche kostspielig scheinen, machen, klug und gerecht angewendet, unvermerkt alle Welt fleißig und bringen zuletzt mehr ein, als sie kosten; aber da man den Nutzen davon erst mit der Zeit und nur durch Ausdauer ernten kann, so verstehen es wenig Leute, oder haben Lust, sie anzuwenden.
    Ein noch wirksameres Mittel aber, die Liebe der Leute zu gewinnen, das einzige, bei welchem kein ökonomischer Zweck obwaltet und das mehr der Frau von Wolmar eigenthümlich ist, besteht darin, daß sie selbst ihnen mit Liebe begegnet. Sie glaubt nicht mit Geld die Mühe, welche man sich für sie giebt, gut gemacht zu haben und meint, demjenigen, der ihr Dienste geleistet hat, auch wieder Dienste schuldig zu sein. Arbeiter, Hausleute, Jeder, der ihr gedient hat, wenn auch nur einen einzigen Tag, Alle werden zu ihren Kindern; sie nimmt Theil an ihren Freuden, an ihren Leiden, an ihrem Schicksale; sie erkundigt sich nach ihren Angelegenheiten und nimmt sich derselben an: sie steht ihnen auf tausend Arten bei, giebt ihnen Rathschlage, gleicht ihre Zwistigkeiten aus, und beweist ihnen die Leutseligkeit ihres Charakters nicht durch honigsüße und müßige

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