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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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knechtischen Zwang, Trübsinn und Langeweile? Man entzieht sich auf Schleichwegen einer Tyrannei, die unerträglich ist, weil sie wider Natur und Vernunft streitet: die erlaubten Vergnügungen, die man einer munteren, ausgelassenen Jugend versagt, ersetzt sie sich durch gefährlichere; listig veranstaltete Zusammenkünfte unter vier Augen treten an die Stelle der öffentlichen Vereinigungen; dadurch, daß man sich versteckt, als hätte man Strafbares vor, geräth man in Versuchung, Strafbares zu begehen. Die unschuldige Freude jauchzt sich gern im hellen Lichte des Tages aus, das Laster aber liebt das Dunkel, und niemals haben Unschuld und Heimlichkeit lange bei einander gewohnt. Mein theurer Freund, sagte sie zu mir, indem sie mir die Hand drückte, gleich als wollte sie mir ihren Reumuth mittheilen und in mein Herz die Lauterkeit des ihrigen überströmen: wer könnte besser als wir die ganze Wichtigkeit dieses Grundsatzes fühlen? Wie viel Schmerzen und Leiden, wie viel Gewissensbisse und Thränen würden wir uns so viele Jahre hindurch erspart haben, wenn wir bei der Tugendliebe, die uns Beide stets beseelte, die Gefahren früher hätten voraussehen können, welche der Tugend drohen, wenn man viel mit einander allein ist!
    Noch einmal, fuhr Frau von Wolmar mit ruhigerem Tone fort, nicht in großen Versammlungen, wo uns alle Welt sieht und hört, sondern in einsamer Zusammenkunft, wo die Heimlichkeit und Zwanglosigleit herrscht, kommt die Sittlichkeit in Gefahr. Dieser Erfahrung zufolge, habe ich es gern, daß meine Leute beiderlei Geschlechts, wenn sie gesellig zusammenkommen, alle mit dabei seien. Ich erlaube auch gern, daß sie aus der Nachbarschaft solche junge Leute dazu einladen, deren Umgang nicht geeignet ist, ihnen zu schaden, und ich höre mit großer Freude, daß es Brauch geworden ist, wenn man einen unsererjungen Nachbarn wegen seines guten Wandels rühmen will, blos zu sagen: er darf zu Herrn von Wolmar kommen. Wir haben hierbei noch etwas Anderes im Auge. Die Mannsleute in unserem Dienste sind sämmtlich Junggesellen, und unter den Frauenzimmern ist die Wärterin unserer Kinder noch zu verheiraten. Es wäre nun unbillig, wenn die Abgeschlossenheit, in welcher sie beiderseits hier leben ihnen die Gelegenheit, anständig unterzukommen, raubte. Wir suchen also durch jene kleinen Gesellschaften ihnen eine solche Gelegenheit unter unsern Augen zu verschaffen, um ihnen zu einer guten Wahl behülflich zu sein, und indem wir so daran arbeiten, glückliche Hausstände zu begründen, vermehren wir das Glück des unsrigen.
    Es wäre noch übrig, mich selbst zu rechtfertigen, daß ich mit diesen guten Leuten tanze: aber ich will mich lieber wegen dieses Punktes stillschweigend verurtheilen lassen, und gestehe offen, daß ich es hauptsächlich deshalb thue, weil es mir Vergnügen macht. Sie wissen, daß ich immer so leidenschaftlich gern getanzt habe, als meine Cousine: aber seit dem Verluste meiner Mutter, verzichtete ich für immer auf den Besuch von Bällen und allen großen Gesellschaften. Ich habe mir Wort gehalten, selbst an meinem Hochzeittage, und werde es ferner thun, denn ich glaube nicht, daß ich dagegen verstoße, wenn ich bei mir zu Hause manchmal mit meinen Gästen und mit meinen Leuten tanze. Es ist dies eine Bewegung, die bei der sitzenden Lebensart, zu welcher man hier im Winter gezwungen ist, meiner Gesundheit dient. Es ist eine unschuldige Belustigung, denn wenn ich recht getanzt habe, macht mir mein Herz keinen Vorwurf. Es macht auch Herrn von Wolmar Vergnügen; ich habe dabei keine andere Koketterie, als ihm zugefallen. Es geschieht meinetwegen, daß er an den Ort kommt, wo getanzt wird; seine Leute finden sich durch die Gegenwart ihres Herrn geschmeichelt, und auch mich unter sich zu sehen macht ihnen sichtlich Freude. Endlich noch finde ich. daß diese unbedeutende Vertraulichkeit ein herzliches und freundliches Verhältniß gründet, das uns dem ursprünglichen Zustande menschlicher Gleichheit ein wenig annähert, indem es die Erniedrigung des Gehorchens und die Härte des Befehlens etwas ausgleicht.
    Dies, Milord, sagte mir Julie in Betreff des Tanzes, und ich bewunderte, wie bei so viel Herablassung so viel Subordination herrschen konnte, wie sie und ihr Mann sich so oft unter ihre Bedienten mischen und sich ihnen gleichstellen konnten, ohne daß diese sich versucht fänden, sie beim Worte zu halten und ihrerseits sich ihnen gleichzustellen. Ich glaube nicht, daß es in Asien Herrscher

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