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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Heile der Armen.
    Das Dienen ist dem Menschen so wenig natürlich, daß es nicht ganz ohne alle Unzufriedenheit bestehen kann. Indessen man hat Achtung vor dem Herrn, und sagt nichts über ihn. Wenn sich einmal ein Bißchen Murren über die Herrin mit einstiehlt, so hat dieses mehr Werth als Lobeserhebungen. Keiner beschwert sich, daß sie es an Wohlwollen für ihn fehlen lasse, sondern nur, daß sie dessen so viel für Andere habe. Keiner mag es leiden, wenn sie eine Vergleichung anstellt zwischen seinem Eifer und dem seiner Kameraden, und Jeder möchte immer der Erste sein in der Gunst, wie er in der Anhänglichkeit der Erste zu sein glaubt; dies ist ihr einziger Grund zu Klagen und ihre größte Ungerechtigkeit.
    Mit der Subordination der Untergebenen geht die Eintracht unter den Gleichgestellten Hand in Hand. Dieser Theil der häuslichen Verwaltungskunst ist nicht der leichteste. Unter der Dienerschaft eines Hauses, selbst wenn sie so wenig zahlreich ist wie die hiesige, entspringen aus Eifersucht und Eigennutz unaufhörliche Reibungen, und die Leute sind fast nie einig, außer zum Schaden der Herrschaft. Wenn sie sich mit einander verstehen, so geschieht dies nur, um in Gemeinschaft zu stehlen; wenn sie treu sind, so macht sich Jeder auf Kosten der Uebrigen geltend; sie müssen entweder Feinde oder Mitschuldige sein, und es läßt sich kaum ein Mittel finden, ihre Spitzbübereien und ihre Zänkereien zugleich zu vermeiden. Die meisten Familienväter kennen nur die Wahl zwischen diesen beiden Uebelständen. Die Einen, indem sie den Vortheil höher anschlagen als eine rechtschaffene Gesinnung ihrer Leute, nähren deren Neigung zu heimlichen Hinterbringungen, und glauben ein Meisterstück von Klugheit auszuführen, wenn sie immer den einen zum Aufpasser und Spion des andern machen. Die Andern, bequemere Leute, wollen sich lieber bestehlen lassen, um nur Ruhe im Hause zu haben; sie machen sich eine Art Ehre daraus, daß sie Winke, die manchmal reiner Eifer einem Diener abnöthigt, jederzeit schlecht aufnehmen. Beide Classen greifen gleichermaßen fehl. Die Ersteren erhalten ihr Haus nicht nur in einer beständigen Spannung und Unruhe, die sich mit einem regelmäßigen Gang und guter Ordnung nicht verträgt, sondern umgeben sich mit einem Haufen von Schurken und Angebern, dir sich an dem Verrathen ihrer Kameraden üben, einst vielleicht ihre Herrschaft zu verrathen. Die Letzteren, indem sie durchaus nicht erfahren wollen, was in ihrem Hause vorgeht, geben ihren Leuten Befugniß, sich gegen sie selbst zu verbinden, machen den Schlechten Muth, schrecken die Guten ab, und unterhalten mit großen Kosten einen Haufen von anmaßenden Schuften und Faulenzern, die, zum Schaden der Herrschaft einverstanden, Alles, was sie für diese thun, wie eine Gnade, und daß sie sie bestehlen, für ein Recht ansehen
[Ich habe die innere Einrichtung großer Häuser ziemlich genau kennen gelernt undhabe mich überzeugt, daß es für einen Herrn, der zwanzig Bediente hält, unmöglich ist, je mit Sicherheit zu wissen, ob er einen ehrlichen Menschen darunter hat, und nicht für einen solchen gerade den ärgsten Spitzbuben von allen zu halten. Schon dies allein könnte es mir verleiden. ein Reicher zu sein. Eine der süßesten Freuden des Lebens, die Lust, sich den Menschen mit Achtung und Vertrauen hinzugeben, ist für diese Unglücklichen verloren. Ihr Gold kommt ihnen theuer zu stehen.].
    Es ist ein großer Irrthum in der Hauswirthschaft wie in der Staatswirthschaft, Laster durch Laster bekämpfen und unter ihnen eine Art Gleichgewicht herstellen zu wollen, als ob das, was die Ordnung untergräbt, je dazu dienen könnte, sie aufzurichten. Man erreicht durch diese falsche Politik nichts weiter, als daß man zuletzt alle Mißstände beisammen hat. Diejenigen Laster, die man in einem Hause duldet, bleiben nicht die einzigen, welche darin herrschen; läßt man eins aufkeimen, so zieht es tausend andere nach sich. Bald machen sie die Diener, die von ihnen befallen sind, zu verlorenen Menschen, richten den Herrn, der sie zuläßt, zu Grunde, verderben die Kinder, oder geben ihnen Aergerniß, denn deren Aufmerksamkeit entgeht nichts, was im Hause geschieht. Was für ein unwürdiger Vater, der den Gedanken fassen könnte, daß irgend ein Vortheil im Stande wäre, das letztere dieser Uebel aufzuwiegen! Welcher brave Mann möchte Familienhaupt sein, wenn es eine Unmöglichkeit wäre, in seinem Hause Frieden und Ehrlichkeit zugleich aufrecht zu

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