Julie oder Die neue Heloise
verweigern. Aber, meine Liebe, ich sehe, daß er Freude daran findet, mir sein Vertrauen zu beweisen, und ich fürchte einen Theil seiner Achtung zu verlieren, wenn er glaubt, daß ich mehr Behutsamkeit nöthig habe, als er mir erlauben will. Ich weiß ebenso gut, daß ich Saint-Preux nur ein Wort zu sagen brauche, der dann keinen Augenblick anstehen wird, ihn zu begleiten. Aber wird sich mein Mann hierdurch täuschen lassen? Und kann ich diesen Schritt thun, ohne mir noch immer den Anschein eines gewissen Einflusses auf Saint-Preux zu geben, der ihm seinerseits wieder eine Art Recht einräumen würde? Ich muß außerdem fürchten, daß er aus dieser Vorsicht die Folgerung ziehe, als fühle ich, daß sie nöthig sei, und so ist dieses Mittel, welches auf den ersten Blick das leichteste scheint, vielleicht das gefährlichste. Endlich weiß ich wohl, daß gegen eine wirkliche Gefahr keine anderweitige Rücksicht in Betracht kommen kann; aber ist denn diese Gefahr in der That vorhanden? Sieh, dies eben ist der Zweifel, den du auflösen sollst.
Je mehr ich die jetzige Verfassung meiner Seele untersuche, desto mehr Ursache finde ich, mich sicher zu fühlen. Mein Herz ist rein, mein Gewissen ruhig: ich weiß nichts von Verwirrung oder Angst, und bei Allem, was in mir vorgeht, kostet mich meine Aufrichtigkeit, meinem Manne gegenüber, keine Anstrengung. Nicht, daß nicht gewisse unwillkürliche Erinnerungen mich manchmal in eine wehmüthige Stimmung versetzten, die besser nicht aufkäme; aber, weit entfernt, daß die Erinnerungen durch den Anblick Dessen erzeugt würden, der ihre Ursache ist, scheinen sie mir vielmehr seit seiner Rückkunft seltener; und wie süß es mir ist, ihn zu sehen, weiß ich doch nicht, wie wunderlich es zugeht, daß es mir süßer ist, an ihn zu denken; mit einem Worte, ich finde, daß ich nicht einmal nöthig habe, die Tugend zu Hülfe zu rufen, um mich in seiner Gegenwart ruhig zu fühlen, und daß, wenn auch der Abscheu vor dem Verbrechen nicht vorhanden wäre, die Gefühle, welche derselbe zerstört hat, jetzt schwerlich wieder entstehen würden.
Aber, mein Engel, ist es genug, daß mich der Zustand meines Herzens ruhig lasse, wenn mich die Vernunft besorgt sein heißt? Ich habe das Recht verloren, mich auf mich zu verlassen. Wer wird mir dafür einstehen, daß nicht mein Selbstvertrauen wieder eine Vorspiegelung des Lasters ist? Wie darf ich Gefühlen trauen, die mich so oft getäuscht haben? Fängt das Verbrechen nicht immer mit dem Stolze an, welcher uns verleitet, die Versuchung gering zu achten? Und Gefahren trotzen, in denen man schon unterlegen ist, heißt das nicht abermals unterliegen wollen?
Wäge alle diese Bedenken, Cousine; du wirst sehen, daß sie, wenn auch vielleicht eitel an sich selbst, doch ihres Gegenstandes wegen wichtig genug sind, um Beachtung zu verdienen. Ziehe mich also aus der Ungewißheit, in welche sie mich versetzt haben. Deute mir an, wie ich mich in diesem zarten Falle benehmen soll; denn meine früheren Verirrungen haben mein Urtheil befangen gemacht, und ich wage mich in keiner Sache mehr recht dreist zu entschließen. Wie du auch über dich denken magst, ich bin gewiß, daß deine Seele still und ruhig ist; die Gegenstände spiegeln sich in ihr so, wie sie sind; die meinige aber, stets bewegt, wie eine zitternde Wolke, bringt sie in Unordnung und verzerrt ihre Gestalt. Ich wage mich auf nichts mehr zu verlassen, was ich sehe oder fühle, und ungeachtet meiner langen Reue, erkenne ich mit Schmerz, daß das Gewicht eines alten Fehltritts eine Last ist, welche man sein ganzes Leben tragen muß.
Dreizehnter Brief.
Antwort.
Arme Cousine, wie viele Qualen bereitest du dir unaufhörlich, bei so viel Ursache in Frieden zu leben! All dein Unglück kommt von dir, Israel! Wenn du deinen eigenen Regeln folgtest, in Sachen des Gefühls nur auf die innere Stimme hörtest, und wenn dein Herz deine Vernunft zum Schweigen brächte, so würdest du dich der Sicherheit, welche es dir einflößt, unbedenklich überlassen, und würdest dich nicht anstrengen, gegen sein Zeugniß eine Gefahr zu fürchten, die nur von ihm herkommen kann.
Ich verstehe dich, ich verstehe dich wohl, meine Julie; deiner selbst gewisser, als du dich stellst, willst du dich wegen deiner begangenen Fehltritte demüthigen, unter dem Vorwand, neue zu verhüten, und deine Skrupel sind nicht sowohl Vorsichtsmittel für die Zukunft, als vielmehr eine Strafe, welche du dir für die Keckheit auflegst, die
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