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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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man keinen andern Fehler vorwerfen kann, als eine zu lebhafte Erinnerung an ihre Fehltritte. Stehen Sie also davon ab, gegen sich selbst Vorsichtsmaßregeln zu gebrauchen, die beleidigend für Sie sind, und lernen Sie auf sich selbst bauen, um immer sicherer auf sich bauen zu können. Verbannen Sie ein ungerechtes Mißtrauen, das nur dazu dienen kann, die Gefühle, denen es seinen Ursprung verdankt, bisweilen wieder zu erwecken. Wünschen Sie sich vielmehr Glück, daß Sie einen rechtschaffenen Mann zu wählen wußten, in einem Alter, wo es so leicht ist, sich in dieser Hinsicht zu täuschen, und daß Sie einen Liebhaber erkoren hatten, den Sie jetzt unter den Augen Ihres Gatten selbst zum Freunde haben können. Kaum war ich mit euerem Verhältnisse bekannt geworden, so gewann ich euch, Jeden um des Andern willen, lieb. Ich sah, welcher trügerische Enthusiasmus euch beide irre geführt hatte; er wirkt nur auf schöne Seelen; er führt sie manchmal allerdings in's Verderben, aber immer durch einen Zauber, der nur sie verführen kann. Ich schloß, daß derselbe Geschmack am Guten, welcher eure Verbindung gestiftet hatte, sie lockern würde, sobald sie strafbar geworden und daß das Laster sich in Herzen, wie die eurigen, hineinstehlen, nicht aber darin Wurzel schlagen könnte.
    Von Augenblick an erkannte ich, daß es ein Band zwischen euch gäbe, welches man nicht zerreißen müßte, daß euere gegenseitige Anhänglichkeit so viel Löbliches zu ihrem Grunde hätte, daß man sie eher regeln, als zu nichte machen müßte, und daß keiner von beiden den Andern vergessen könnte, ohne viel von seinem Werthe zu verlieren. Ich wußte, daß harter Kampf die heftigen Leidenschaften nur noch mehr stachelt, und daß gewaltsame Anstrengungen, wenn sie auch die Seele üben mögen, ihr doch Qualen kosten, deren anhaltende Dauer fähig ist, ihr Niederlagen zuzuziehen. Ich benutzte Juliens Milde, um ihre Strenge zu mäßigen. Ich nährte ihre Freundschaft für Sie, sagte er zu Saint-Preux; ich benahm derselben, was an ihr wieder zu viel werden konnte, und ich glaube, Ihnen von ihrem Herzen vielleicht mehr bewahrt zu haben, als Ihnen geblieben wäre, wenn ich sie sich selbst überlassen hätte.
    Mein Erfolg machte mir Muth, und ich wollte es versuchen, Sie zu heilen, wie es mir bei Julie gelungen war; denn ich schätzte Sie, und allen Vorurtheilen lasterhafter Seelen zum Trotz, habe ich stets erkannt, daß es nichts Gutes gebe, was man nicht von schönen Seelen durch Offenheit und Vertrauen erlangen könnte. Ich sah Sie, und Sie haben mich nicht betrogen, werden es auch ferner nicht, und obwohl Sie noch nicht das sind, was Sie werden müssen, finde ich Sie doch fortgeschrittener, als Sie glauben, und bin zufriedener mit Ihnen, als Sie mit sich selbst. Ich weiß wohl, daß mein Benehmen wunderlich aussieht und alle gemeinen Regeln über den Haufen wirft; aber die Regeln verlieren an Gemeingültigkeit, je mehr man in den Herzen liest, und Juliens Gatte muß nicht wie ein anderer Mann verfahren. Meine Kinder, sagte er zu uns, mit einem Tone, der um so ergreifender war, als er von einem ruhigen Manne kam, seid nur ihr selbst, und wir werden alle zufrieden sein. Die Gefahr liegt nur in der Meinung; habt keine Furcht vor euch, und ihr werdet nichts zu fürchten haben; denket nur an die Gegenwart und ich stehe euch für die Zukunft. Ich kann euch heute nicht mehr sagen, aber wenn meine Pläne zu Stande kommen und meine Hoffnung mich nicht trügt, so wird sich unser aller Schieksal besser erfüllen, und ihr werdet beide glücklicher sein, als wenn ihr einander angehört hättet.
    Er stand auf, und umarmte uns, er verlangte, daß auch wir uns umarmen sollten, an diesem Orte .... an diesem nämlichen Orte, wo einst .... Clara, o gute Clara, wie du mich immer geliebt hast! …. Ich machte keine Schwierigkeit; ach! wie unrecht hätte ich gehabt, es zu thun! Dieser Kuß hatte nichts von jenem, der mir das Bosket so furchtbar gemacht hatte; ich wünschte mir mit Betrübniß Glück dazu, und erkannte, daß mein Herz mehr verwandelt war, als ich bis dahin mir zu glauben getraut hatte.
    Als wir den Weg nach dem Hause wieder einschlugen, hielt mich mein Mann bei der Hand fest, und sagte, auf das Bosket deutend, aus dem wir eben getreten waren, mit Lächeln: Julie, fürchten Sie dieses Asyl nicht mehr, es ist nun profanirt. Du willst es mir nicht glauben, Cousine, aber ich schwöre dir, daß er eine übernatürliche Gabe besitzt, in der Tiefe der

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