Julie oder Die neue Heloise
tugendhaftere, liebenswürdigere Freundin gegeben, als die, welche der Abgott meines Herzens ist, und ich werde meine Tage mit ihr verleben; auch Sie tragen dazu bei, mir mein Leben lieb zu machen, indem Sie meine Achtung und die Gefühle, die ich für Sie hege, so sehr rechtfertigen; ein langer und verdrießlicher Prozeß ist seinem Ende nahe, und dieses Ende wird den besten der Väter in meine Arme zurückführen. Alles geräth uns wohl; Ordnung und Friede herrschen in unserm Hause; unsere Bedienten sind eifrig und treu; unsere Nachbarn geben uns auf alle Art ihre Anhänglichkeit zu erkennen, wir genießen des allgemeinen Wohlwollens. In allen Stücken von dem Himmel, von dem Schicksale und von den Menschen begünstigt, sehe ich Alles sich zu meinem Glücke vereinigen. Ein geheimer Kummer, ein einziger Kummer vergiftet es mir, und ich bin nicht glücklich. Sie sagte diese letzten Worte mit einem Seufzer, der mir die Seele durchbohrte und an welchem ich nur zu gut erkannte, daß nicht ich dabei betheiligt war. Sie ist nicht glücklich, sagte ich zu mir, nun auch seufzend, und nicht bin ich es mehr, der sie verhindert, es zu sein.
Dieser traurige Gedanke brachte die meinigen augenblicklich in Aufruhr und zerstörte die Ruhe, deren ich kaum zu genießen angefangen. Gepeinigt von der unleidlichen Ungewißheit, in welche mich ihre Rede versetzt hat, drang ich so in sie, mir ihr Herz vollends zu öffnen, daß sie endlich ihr leidiges Gcheimniß in dem meinigen ansschüttete, und mir erlaubte, es auch Ihnen zu entdecken. Es ist aber eben Zeit zum Spaziergange. Frau von Wolmar kommt schon aus dem Gynäceum, um ihre Kinder in's Freie zu führen; sie läßt es mir eben sagen. Ich eile hin, Milord; ich verlasse Sie für dies Mal, und verspare es mir, den abgebrochenen Gegenstand in einem anderen Brief wieder aufzunehmen.
Sechszehnter Brief.
Frau von Wolmar an ihren Mann.
Ich erwarte Sie Dienstag, Ihrer Andeutung gemäß und Sie werden Alles nach Ihren Absichten eingerichtet finden. Besuchen Sie auf dem Rückwege Frau von Orbe; sie wird Ihnen sagen, was während Ihrer Abwesenheit vorgegangen ist: ich mag lieber, daß Sie es von ihr, als von mir erfahren.
Wolmar, es ist wahr, ich glaube, Ihre Achtung zu verdienen; aber wie Sie verfahren, ist darum doch nicht recht, und es ist hart, wie Sie der Tugend Ihrer Frau genießen.
Siebzehnter Brief.
Saint-Preux an Milord Eduard.
Ich will Ihnen, Milord, von einer Gefahr Bericht geben, welche wir in diesen Tagen zu bestehen hatten, und wobei wir zum Glück mit dem Schrecken und etwas Anstrengung weggekommen sind. Dies verdient einen besondern Brief; Sie werden aus ihm sehen, was mich bestimmt, ihn Ihnen zu schreiben.
Sie wissen, daß das Haus der Frau von Wolmar nicht weit vom See ist, und daß sie gern auf dem Wasser fährt. Vor drei Tagen veranlaßte uns die Unbeschäftigtheit, in welcher wir uns durch die Abwesenheit ihres Mannes befinden und die Schönheit des Abends, eine solche Fahrt für den andern Tag zu verabreden. Um Sonnenaufgang begaben wir uns an das Ufer, nahmen einen Kahn mit Zeug zum Fischen, drei Ruderer, einen Bedienten und schifften uns, mit einigen Vorräthen zum Mittagessen, ein. Ich hatte eine Flinte mitgenommen,um Besolets
[Ein Zugvogel auf dem Genfersee. Der Besolet ist nicht gut zu essen.]
zuschießen; aber Frau v. Wolmar machte mir Vorwürfe, daß ich Vögel ohne allen Zweck und blos aus Zerstörungslust tödten wollte. Daher belustigte ich mich nur damit, von Zeit zu Zeit Gros-Sifflets, Tiu-Tius, Crenets, Sifflassons zu locken
[Verschiedene Vögel auf dem Genfersee. alle sehr gut zu essen. R. — Was ich durch ,,locken“ übersetzt habe, beißt im Original rappeler. Ich habe weder im Dict. de l'Academie noch in anderen mir zu Gebote stehenden Wörterbüchern eine Bedeutung dieses Wortes, die hierher paßte, angeführt gefunden, und die obige auf gut Glück gewählt. — Die Grebe (grèbe) ist eine Taucherart, unser Steißfuß oder Ruch, podiceps. Der Taucher ist übrigens bekanntlich unter allen Umständen schwer zu schießen, wenn auch die Hypothese der Jäger lächerlich ist, daß er den Blitz von der Pfanne sehe und geschwind untertauche ehe ihn die Schrote erreichen. D. Ueb.]
und schoß nur ein einziges Mal bei sehr weiter Distanz auf eine Grebe, die ich fehlte.
Wir brachten ein oder zwei Stunden mit Fischen hin, und zwar fünfhundert Schritte vom Ufer. Der Fang war gut; aber mit Ausnahme einer Forelle, die einen Schlag mit dem Ruder bekommen
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