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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Flusse und ihr wollt eine immerwährende Glut anfachen! Und mit
welchem Rechte verlangt ihr, heute geliebt zu werden, weil ihr gestern geliebt waret? Behaltet doch dasselbe Gesicht, dasselbe Alter, dieselbe Laune, seid immer dieselbe Person, und man wird euch immer lieben, wenn man kann. Aber unaufhörlich anders werden und dabei immer verlangen, daß man euch liebe, heißt ja verlangen, daß man jeden Augenblick aufhöre, euch zu lieben; nicht beständige Herzen sind es, die ihr so suchet, sondern solche, die so veränderlich sind wie ihr.]
. Um ihn glücklich zu machen, handelte es sich nicht mehr blos darum, sie ihm zu geben, sondern sie ihm in demselben Alter, unter denselben Umständen zu geben, worin sie sich zur Zeit ihrer ersten Liebe befunden hatte; die geringste Aenderung in dem Allen war eben so viel Raub an dem Glücke, welches er sich versprochen hatte. Sie ist schöner geworden, aber sie hat sich verändert; was sie gewonnen hat, schlägt in diesem Sinne zu ihrem Nachtheil aus; denn in die alte, nicht in eine andere ist er verliebt.
    Der Irrthum, der ihn neckt und beunruhigt, ist der, daß er die Zeiten vermengt und sich oft wie ein gegenwärtiges Gefühl das anrechnet, was nur die Wirkung einer zu zärtlichen Erinnerung ist; aber ich weiß nicht, ob es nicht besser ist, seine Heilung zu vollenden, als ihn zu enttäuschen. Zu ersterem Ende wird sich vielleicht sein Irrthum besser benutzen lassen, als sein Klarsehen: ihm den wahren Zustand seines Herzens entdecken, hieße so viel, als ihm den Tod der Geliebten anzeigen; es hieße ihm ein Schmerzgefühl erregen, das gefährlich sein würde, weil Wehmuth immer der Liebe günstig ist.
    Von den Skrupeln befreit, die ihn jetzt bestimmen sich Zwang aufzulegen, würde er sich vielleicht mehr gehen lassen und Erinnerungen nähren, die doch nothwendig erlöschen müssen; er würde mit weniger Zurückhaltung von ihnen sprechen; und die Züge seiner Julie sind an Frau von Wolmar noch nicht so verwischt, daß er sie nicht dennoch an ihr finden könnte, wenn er sie an ihr suchte. Ich habe gedacht, daß man, anstatt ihm die Meinung, daß er Fortschritte gemacht habe, die ihm zur Ermunterung zu weiteren Fortschritten dient, zu benehmen, ihm das Andenken an die Zeiten, welche er vergessen soll, aus dem Sinne spielen müßte, indem man andere Ideen denen, die ihm so theuer sind, geschickt unterschiebt. Sie, die Sie dazu beigetragen haben, daß dieselben in ihm entstehen konnten, können mehr als sonst Jemand dazu beitragen, sie zu verwischen; aber erst wenn Sie ganz bei uns sein werden, will ich Ihnen ins Ohr sagen, was zu dem Ende geschehen müßte; eine Aufgabe, die, wenn ich mich nicht täusche, Ihnen nicht sehr zuwider sein wird. Inzwischen suche ich ihn mit den Gegenständen vertraut zu machen, die ihn scheu machen, indem ich sie ihm auf eine solche Artvorführe, daß sie ihm nicht mehr gefährlich sind. Er ist feurig, aber schwach und leicht zu unterjochen. Ich benutze diesen Vortheil, indem ich seiner Einbildungskraft unvermerkt eine andere Richtung gebe. Statt seiner Geliebten, zwinge ich ihn, stets die Gattin eines braven Mannes und die Mutter meiner Kinder zu erblicken; ich lösche ein Bild durch ein anderes aus, und decke das Vergangene mit dem Gegenwärtigen zu. Man führt einen scheuen Renner zu dem Gegenstande, der ihm Furcht erregte, damit er sich der Furcht vor demselben entwöhne. So muß man mit solchen jungen Leuten verfahren, deren Einbildungskraft noch flammt, wenn ihr Herz schon erkaltet ist, und ihnen in der Entfernung Ungeheuer zeigt, die, wenn man ihnen naht, verschwinden.
    Ich glaube beider Kräfte wohl zu kennen; ich setze sie nur solchen Proben aus, die sie bestehen können; denn die Weisheit besteht nicht darin, daß man ohne Unterschied jede Art Vorsichtsmittel ergreife, sondern daß man diejenigen wähle, welche fruchten können, die überflüssigen aber bei Seite lasse. Die acht Tage, während welcher ich sie zusammen lassen will, werden vielleicht hinreichen, um ihnen ihre wahren Gefühle klar zu machen, und sie erkennen zu lehren, was sie einander wirklich sind. Je mehr sie sich allein haben, desto leichter werden sie ihren Irrthum einsehen; indem sie das, was sie fühlen, mit dem vergleichen, was sie ehemals in ähnlicher Lage gefühlt haben würden. Rechnen Sie hinzu, wie wichtig es für sie ist, daß sie sich daran gewöhnen, ohne Gefahr in der Vertraulichkeit zu leben, in welcher sie nothwendig leben müssen, wenn meine Absichten in

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