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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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fesselt, und Ihre Bewunderung für ihn ist nur desto mehr gerechtfertigt, nachdem Sie so viele andere Gegenstände in Augenschein genommen haben. Es bleibt Ihnen nichts mehr zu empfinden und zu sehen übrig, was werth wäre Sie zu beschäftigen; kein Gegenstand, der Ihre Beobachtung verdiente, als Ihr eigenes Selbst, und kein Genuß, der ihres Strebens werth wäre, als der der Weisheit. Sie haben dieses kurze Leben durchgelebt; denken Sie daran, für dasjenige zu leben, welches ewig dauern soll.
    Ihre Leidenschaften, deren Sklave Sie lange gewesen sind, haben Ihnen Ihre Tugend nicht geraubt. Dies ist Ihr ganzer Ruhm, allerdings ein großer, aber seien Sie nicht so gar stolz darauf; Ihre Kraftselber ist das Werk Ihrer Schwäche. Wissen Sie, was Sie dahin gebracht hat, die Tugend stets zu lieben? Sie hat in Ihren Augen die Gestalt jener anbetungswürdigen Frau angenommen, die so ganz ihr Bild ist, und es müßte seltsam zugehen, wenn ein so theures Bild es zuließe, daß Sie den Geschmack daran verlören. Aber werden Sie die Tugend nie ihrer selbst wegen lieben und nie aus eigenen Kräften dem Guten nachjagen, wie doch Julie gethan? Wollen Sie, als ein müßiger Bewunderer ihrer Tugenden, sich unaufhörlich darauf beschränken, sie anzustaunen, ohne ihr jemals nachzuahmen? Sie sprechen mit Wärme von der Art, wie Julie ihre Pflichten als Gattin und Mutter erfüllt, aber Sie, wann werden Sie nach Juliens Beispiel Ihre Pflichten als Mann und Freund erfüllen? Ein Weib hat sich selbst überwunden, und ein Philosoph hat Mühe, sich zu bezwingen! Wollen Sie denn immer nur ein Phrasenheld sein, wie die Andern und sich darauf beschränken. gute Bücher statt guter Handlungen ans Licht zu stellen
[Nein, dieses Jahrhundert der Philosophie soll nicht vorübergehen, ohne einen wahren Philosophen erzeugt zu haben. Ich kenne einen, allerdings nur einen, aber das ist immer schon viel, und zum Ueberfluß des Glückes ist es mein Vaterland, in welchem er lebt. Darf ich es wagen, ihn hierzu nennen, ihn, dessen wahrer Ruhm es ist, daß er unbekannt zu bleiben wußte? Gelehrter und bescheidener Abauzit, möge deine erhabene Sitteneinfalt meinem Herzen einen Eifer verzeihen, der ja nicht deinen Namen zu seinem Gegenstande hat. Nein, nicht dich will ich diesem Jahrhundert bekannt machen, das nicht werth ist, dich zu bewundern; zu Genfs Ruhme will ich davon reden, daß du dort gelebt hast; meine Landsleute will ich ehren, indem ich die Ehre verkünde, mit welcher sie dich ehren. Glücklich das Land, wo das Verdienst, das sich verbirgt, nur desto mehr geschätzt ist. Glücklich das Volk, wo die Jugend sich willig findet, ihren absprechenden Ton herabzustimmen und über ihr eitles Wissen zu erröthen vor der wissenden Unwissenheit des Weisen. Verehrungswürdiger, tugendhafter Greis, du bist nicht ausposaunt von den Schöngeistern; ihre geräuschvollen Akademien haben nicht von deinem Lobe wiedergehallt! statt ihnen gleich, deine Weisheit in Büchern niederzulegen, hast du sie in deinem Leben geltend gemacht; dem Vaterlande, das du deiner Wahl gewürdigt hast, das du liebst, und das dich achtet, zum Vorbilde. Du hast gelebt wie Sokrates: aber er starb durch die Hand seiner Mitbürger und du bist von den deinigen geliebt. R. — Abauzit war von Geburt Franzose und kam in frühen Jahren in Folge der Zurücknahme des Edictes von Nantes nach Genf. Er starb 1767, sieben und achtzig Jahre alt. Der Herausgeber der Rousseau'schen Werke Petitain bemerkt, daß Abauzit seine Berühmtheit in der literarischen Welt vielleicht nur dieser Note Rousseau's verdankt. Nachrichten über sein Leben und seine Werke finden sich übrigens in Sennebier Hist. Littéraire de Genève Th. III. S. 63 ff, so wie auch in dem betreffenden Artikel von Millin in der Biographie universell. D. U.]
? Nehmen Sie sich in Acht, mein Lieber, es herrscht in Ihren Briefen noch ein weicher, weinerlicher Ton, der mir mißfällt, und der wohl mehr ein Ueberrest Ihrer Leidenschaft, als eine Wirkung Ihres Charakters ist. Schwachheit ist mir überall verhaßt, und an meinem Freunde mag ich sie gar nicht. Es giebt keine Tugend ohne Kraft, und der Weg zum Laster ist die Feigheit. Können Sie mit einemHerzen ohne Muth es wagen, sich auf sich selbst zu verlassen? Thor! Wenn Julie schwach wäre, würdest du morgen erliegen und nichts weiter sein, als ein schändlicher Ehebrecher. Aber da bist du nun mit ihr allein; lerne sie kennen, und erröthe über dich.
    Ich hoffe bald zu euch kommen zu

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