Julie oder Die neue Heloise
gedacht, ihrem Erbe einen anderen Schatz hinzuzufügen, als das gute Beispiel ihres Verhaltens.
Es ist wahr, daß ein Besitz, der nicht vermehrt wird, der Gefahr unterworfen ist, durch tausend Zufälle vermindert zu werden. Ist aber dies einmal ein Grund, ihn zu vermehren, so würde es eben so gut ein ewiger Vorwand sein, dies in's Unendliche fort zu thun. Man wird endlich den Besitz unter mehreren Kindern theilen müssen. Sollen nun diese müßig bleiben? Ist nicht die Arbeit eines jeden ein Zuwachs zu seinem Antheil, und muß nicht sein Fleiß mit zu dem geschlagen werden, was es empfängt? Die unersättliche Habgier schleicht sich unter der Maske der Klugheit ein, und führt zum Laster, während man sich vorspiegelt, nur auf Sicherheit bedacht zu sein. Es ist eine eitle Einbildung, sagt Herr v. Wolmar, menschlichen Dingen eine Dauerbarkeit geben zu wollen, welche nicht in ihrer Natur liegt; die Vernunft gerade fordert, daß wir Vieles dem Zufall überlassen, und wenn von ihm wider unsern Willen unser Leben und Vermögen abhängen, welche Thorheit, sich unaufhörlich wirkliche Qual zu bereiten, um noch ungewissen Uebeln und Gefahren, die dennoch unvermeidlich sind, zuvorzukommen! Er hat nur die einzige Vorsicht in dieser Hinsicht gebraucht, ein Jahr von seinem Kapital zu leben, um mit den unmittelbaren Einkünften dieses Jahres einen Vorsprung zu gewinnen, dergestalt, daß seine Einnahme der Ausgabe immer um ein Jahr voraus ist. Er hat lieber seine Fonds um einiges verringern, als immer hinter seinen Renten zurückbleiben wollen. Der Vortheil, daß er auf diese Weise nicht gezwungen ist, bei dem geringsten unvorhergesehenen Unfall zu verderblichen Auskunftsmitteln zu greifen, hat ihm jene Vorwegnahme vom Kapitale schon reichlich wieder eingebracht. Ordnung und Regelmäßigkeit dienen ihm so statt barer Ersparniß, und er bereichert sich durch das, was er ausgegeben hat.
Die Herrschaft dieses Hauses erfreut sich, nach den gewöhnlichen Vorstellungen von Reichthum, nur eines mittelmäßigen Vermögens; im Grunde aber kenne ich Niemanden, der wohlhabender wäre, als sie. Unbedingten Reichthum giebt es nicht. Dieses Wort drückt nur das Verhältniß aus, in welchem das, was der Reiche bestreiten kann, das Maß seiner Bedürfnisse übersteigt. Mancher ist reich bei einem Morgen Landes; Mancher bettelarm mitten unter Haufen Goldes. Unordnung und Launen haben keine Gränzen, und machen mehr Leute arm, als die wirklichen Bedürfnisse. Hier ist das Verhältniß auf eine Grundlage gestellt, welche es unwandelbar macht, nämlich auf die Uebereinstimmung der beiden Gatten. Der Mann hat das Geschäft übernommen, den Eingang der Renten zu bewirken, die Frau leitet die Verwendung derselben, und in der Harmonie, welche zwischen ihnen herrscht, liegt die Quelle ihres Reichthums.
Was mich anfangs in diesem Hause am meisten überrascht hat, war der Umstand, daß ich darin Behaglichkeit, Freiheit, Frohsinn bei aller Ordnung und Pünktlichkeit herrschen sah. Sonst ist der große Fehler in wohlgeordneten Häusern, daß sie ein trübseliges und gezwängtes Ansehen haben. Die ungemeine Sorgsamkeit der Leute schmeckt immer ein wenig nach Geiz; Alles, was sie umgiebt, verräth eine lästige Aengstlichkeit; die Strenge der Ordnung führt etwas Knechtisches mit sich, das man nur mit Widerwillen erträgt. Die Bedienten thun ihre Schuldigkeit, aber mit unzufriedenen und furchtsamen Mienen. Die Gäste sind wohl aufgenommen, aber sie bedienen sich der Freiheit, die man ihnen gestattet, nur mit Mißtrauen, und da man sich als Gast immer außer der Regel sieht, so thut man nichts ohne Furcht, sich lästig zu machen. Man fühlt, daß diese Sklaven von Vätern nicht für sich leben, sondern für ihre Kinder, ohne daran zu denken, daß sie nicht blos Väter sind, sondern Menschen, und daß sie ihren Kindern ein Beispiel geben sollen von einem wahrhaft menschlichen Leben und von einem Glücke, welches eine Frucht der Weisheit ist. Hier werden vernünftigere Grundsätze befolgt: man ist der Meinung, daß eine der hauptsächlichsten Pflichten eines guten Familienvaters nicht nur die ist, seinen Wohnsitz mit Annehmlichkeiten auszustatten, damit es den Kindern im Hause wohl sei, sondern selber ein behagliches und heiteres Leben zu führen, damit sie fühlen, daß man glücklich ist, wenn man lebt wie er, und niemals in Versuchung gerathen, ein Verhalten, das dem seinigen entgegengesetzt wäre, für das Wesentliche zu nehmen. Eine der Maximen, welche
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