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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Eltern die Last ahnehmen für sie zu sorgen. Die jungen Leute ihrerseits mögen oft gern umherstreichen; den Mädchen steht der Sinn nach städtischem Putz; die Bursche nehmen in der Fremde Kriegsdienste; sie bilden sich ein, mehr werth zu sein, wenn sie in ihr Dorf, anstatt der Liebe zum Vaterlande und zur Freiheit, das zugleich hochfahrende und kriechende Wesen des Söldlings und die lächerliche Verachtung ihres alten Standes heimbringen. Hier aber wird ihnen vorgehalten, wie verkehrt diese Einbildungen sind, wie die Kinder verderbt werden, die Eltern verlassen bleiben, und welchen endlosen Gefahren für Leben, Habe und Sitten die Auswandernden sich preisgeben, indem für einen, dem es glückt, hundert zu Grunde gehen. Wenn sie hartnäckig beharren, so begünstigt man ihre unsinnige Einbildung auf keine Weise, man läßt sie sich in Laster und Elend stürzen, und wendet allen Fleiß darauf, diejenigen zu entschädigen, welche man bewogen hat, der Vernunft ein Opfer zu bringen. Man bringt ihnen Achtung für ihren natürlichen Beruf bei, indem man selber ihn in Ehren hält; man trägt vor dem Bauer keine städtischen Manieren zur Schau, sondern nimmt gegen ihn einen vertraulichen aber anständigen und ernsten Ton an, der den Unterschied der Stände nicht verwischt, den Landmann aber veranlaßt, auf den seinigen stolz zu sein. Es giebt keinen, der nicht dahin zu bringen wäre, sich selbst zu achten, wenn man ihm zeigt, daß man einen Unterschied macht zwischen ihm und jenen kleinen Emporkömmlingen, die einen Augenblick in ihrem Dorfe glänzen und ihre Verwandten mit ihrem Schimmer blenden.
    Herr von Wolmar und der Baron, wenn er hier ist, verfehlen selten, den Waffenübungen, Preisvertheilungen und Besichtigungen im Dorfe und der Umgegend beizuwohnen. Das junge Volk hier, schon von Natur feurig und kriegerisch, gewinnt, wenn es sieht, daß alte Offiziere an seinen Versammlungen Gefallen finden, desto mehr Selbstachtung und Selbstvertrauen. Diese steigert man noch, indem man ihm zeigt, daß es Soldaten, die aus fremdem Dienst zurückgekehrt sind, in jeder Weise überlegen ist; denn, wie man es auch anstelle, fünf Sous Sold und die Furcht vor Stockschlägen werden nie einen solchen Wetteifer hervorbringen, wie unter freien Leuten, die sich in den Waffen üben, die Gegenwart ihrer Verwandten, ihrer Nachbarn, ihrer Freunde, der Geliebten und der Gedanke an den Ruhm des Vaterlandes.
    Die Hauptmaxime der Frau von Wolmar ist also, Veränderungen des Standes nicht zu begünstigen, vielmehr dazu beizutragen, daß jeder sich in dem seinigen glücklich fühle, und insbesondere zu verhüten, daßder glücklichste von allen, der des Landbauers in einem freien Staate, nicht zu Gunsten der übrigen Stände geschwächt werde.
    Ich machte ihr in Betreff dieses Punktes den Einwand, daß die Natur selbst ihre Gaben an die Menschen verschieden ausgetheilt und jedem seinen Beruf zugewiesen zu haben schiene, ohne Rücksicht auf den Stand, in welchem er geboren wird. Hierauf entgegnete sie mir, daß man zwei Dinge vor dem Talente berücksichtigen müsse, nämlich die guten Sitten und die Glückseligkeit. Der Mensch, sagte sie, ist ein zu edles Wesen, um nur Andern zum Werkzeug dienen zu müssen, und man muß ihn nicht zu dem gebrauchen, was diesen gebührt, ohne auch das zu bedenken, was ihm selbst gebührt, denn die Menschen sind nicht der Stellungen wegen da, sondern die Stellungen der Menschen wegen, und um Alles in die angemessene Ordnung zu bringen, muß man bei der Vertheilung der Aufgaben nicht sowohl suchen, wozu jeder Mensch am geeignetsten ist, als vielmehr, was für jeden am geeignetsten ist, um ihn so gut und so glücklich als möglich zu machen. Es ist nimmermehr erlaubt, eine menschliche Seele zum Vortheile Anderer schlechter zu machen, und Bösewichte zu schaffen, um den ehrlichen Leuten einen Dienst zu erzeigen.
    Nun aber sind unter tausend Subjecten, die das Dorf verlassen, nicht zehn, die nicht in der Stadt zu Grunde gingen, und die nicht die Laster, welche sie sich dort aneignen, weiter umhertrügen, als jene, von denen sie sie gelernt haben. Diejenigen, denen es glückt, und die es zu etwas bringen, erreichen es fast immer nur auf den schändlichen Wegen, die dazu führen. Die Unglücklichen, denen es fehlschlägt, mögen nicht zu ihrem alten Stande zurückkehren, sondern werden lieber Bettler oder Diebe, als wieder Bauern, und wenn unter den Tausenden sich etwa einer finden sollte, der dem bösen Beispiele

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