Julie oder Die neue Heloise
Befriedigung, weil man wahrnimmt, daß hier die Quelle derselben unversieglich ist, und daß die Kunst, sich ein glückliches Leben zu bereiten, wie sie hier geübt wird, zugleich zu dessen Verlängerung dient. Wie sollte man eines Zustandes müde werden, der so ganz der Natur gemäß ist? Wie könnte man sein Erbtheil erschöpfen, wenn man es alle Tage verbessert? Wie sein Vermögen zu Grunde richten, wenn man immer nur seine Einkünfte verzehrt? Wenn man jedes Jahr schon für das folgende sicher gestellt ist, welche Gefahr kann dann dem laufenden drohen? Hier liefert die Frucht der vorjährigen Arbeit den gegenwärtigen Ueberfluß, und die Frucht der diesjährigen Arbeit kündigt den künftigen an; man genießt zu gleicher Zeit dessen, was man ausgiebt, und dessen, was man einerntet, und die verschiedenen Zeiten greifen zur Sicherstellung der Gegenwart in einander.
Ich bin in alle Einzelheiten der Wirthschaft eingegangen und habe überall denselben Geist herrschend gefunden. Alle Stickerei und alles Klöppelwerk geht aus dem Frauengemach hervor, alles Linnen ist im Hofe gesponnen oder von armen Frauen, denen man Nahrung giebt. Die Wolle wird in Fabriken geschickt, aus denen man dafür fertiges Tuch eintauscht, um die Leute zu kleiden; der Wein, das Oel und das Brod werden im Hause gemacht: man hat im Holze Schläge, welche so viel liefern, als man nur verbrauchen kann. Der Holzbauer wird in Kleinvieh bezahlt; der Würzkrämer erhält Korn für das, was er liefert: das Lohn der Bedienten kommt aus dem Landertrage, den sie verwerthen; die Miethe, welche die Häuser in der Stadt tragen, reicht hin, um das Ameublement derjenigen, die hier bewohnt sind, zu bestreiten; die Zinsen von Staatspapieren geben so viel her, als die Herrschaft braucht, und als das wenige Silberzeug kostet, das man sich verstattet; aus dem Erlös für Wein und Getreide, das man nicht selbst consumirt, wird ein Reservefonds für außerordentliche Ausgaben gebildet, ein Fonds, den Juliens Klugheit nie versiegen und den ihre Mildthätigkeit noch viel weniger anwachsen läßt. Auf Sachen der bloßen Annehmlichkeit verwendet sie nur den Ertrag der Arbeit, welche im Hause geschieht, der Aecker, die sie selbst urbar gemacht, der Bäume, die sie angepflanzt haben u.s.w. Indem so der Ertrag und die Ausgaben sich immer auf die natürlichste Weise decken, kann das Gleichgewicht nie aufgehoben werden, und es ist unmöglich, in Unordnung zu gerathen.
Noch mehr: die Entbehrungen, welche sie sich aus jener zuvor erwähnten, sich selbst beschränkenden Genußliebe auferlegt, sind zu gleicher Zeit auch wieder Mittel, sich Freude zu bereiten, und auch wieder Mittel, zu sparen. Zum Beispiel, sie liebt den Kaffee sehr; in ihrem elterlichen Hause trank sie ihn alle Tage; sie hat diese Gewohnheit aufgegeben, um sich dadurch den Reiz des Genusses zu erhöhen; sie trinkt ihn jetzt nur, wenn sie Gäste hat, oder im Apollosaal, um auch hieran wieder etwas zu haben, was das Fest noch festlicher mache. Dies ist eine kleine Verfeinerung des Genusses, die mehr kitzelt, und weniger kostet, die das Gelüst zugleich befriedigt und zügelt. Mit unermüdlicher Aufmerksamkeit aber sucht Julie das, was ihr Vater und ihr Mann gern mögen, zu errathen und zu besorgen; sie thut dies mit ungeheuchelter, herzlicher Lust und mit solcher Anmuth, daß den Andern das, was sie ihnen auftischt, noch dadurch gewürzt wird, daß sie sehen, wieviel Vergnügen es ihr macht, ihren Wünschen zuvorzukommen. Beide sitzen gern nach Schweizerart noch nach dem Essen einige Zeit bei Tische; wenn sie dies thun, so unterläßt sie nie, eine Flasche besseren, älteren Weins, als gewöhnlich, heraufholen zu lassen. Ich ließ mich anfangs durch die pomphaften Namen zum Besten haben, welche man diesen Weinen gab, die ich übrigens in der That vortrefflich finde, und da ich sie für Weine aus den Orten, nach welchen sie genannt wurden, trank, so zog ich gegen Julien über einen so offenbaren Bruch ihrer Grundsätze los; aber sie erinnerte mich lachend an eine Stelle im Plutarch, wo Flaminius die asiatischen Truppen des Antiochus unter tausend barbarischen Namen mit verschiedenen Ragouts vergleicht, unter deren Maske ihm ein Freund immer wieder dasselbe Fleisch vorgesetzt hatte. Es verhält sich ganz ebenso, sagte sie, mit diesen ausländischen Weinen, wegen deren Sie mich schelten. Der Rancio, der Xeres, der Malaga, der Chassaigne, der Syrakuser, die Ihnen so trefflich munden, sind in der That nur Lavauxweine
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